Notizen für meine Enkelkinder

Anmerkung der Redaktion: Oskar benennt im folgenden Text seine Frau Anneliese mit Großmutter. Diese Bezeichnung für seine Frau hatte sich mit der Geburt der ersten Enkel in der Familie eingebürgert. Alle Enkel und dann auch die Kinder und Schwiegerkinder und schließlich auch Oskar nutzen diesen Ehrentitel für Anneliese. Oskar erhielt im gleichen Zug den Ehrentitel Großvater. Auch heute (2019) wird in der Familie nur diese Bezeichnung für die beiden genutzt, wenn von ihnen die Rede ist.

Oskar Herwartz 01.10.95.

Notizen aus meinem Leben für meine Enkelkinder

Die Großmutter hat euch schon einen so schönen langen Brief geschrieben. In dem hat sie euch von sich und uns erzählt. Darum habe auch ich, euer Großvater, mir vorgenommen, zur Ergänzung über mein Leben zu berichten.

Ich bin am 1. Januar 1915 in Hildesheim geboren. Die Stadt gehörte damals zur Provinz Hannover des Königreichs Preußen. Mein Vater war Beamter der Reichsbank, die damals das machte, was heute die Bundesbank machen soll. Sie hatte das Prinzip, Beamte, die befördert werden sollten, immer in eine andere Zweigstelle zu versetzen. Weil mein Vater offenbar ein guter Beamter war und öfter befördert wurde, musste er mit seiner Familie oft umziehen. So kam es, dass wir nacheinander in Hildesheim, Hameln an der Weser, Koblenz, Düsseldorf, Goch am Niederrhein, Zittau in Sachsen und München wohnten, solange ich noch zur Schule ging. Danach ist die Familie dann nach Elbing in Westpreußen (das gehört heute zu Polen) und schließlich wieder nach Hildesheim gezogen.

Ich hatte noch einen jüngeren Bruder, Wolfgang, der 1917 auch in Hildesheim geboren war, und eine jüngere Schwester, Elisabeth, die 1921 in Hameln zur Welt kam.

Mein Vater Oskar war am 18.9.1884 in Köln geboren. Sein Vater Hugo stammte aus Aachen. In Köln hatte er eine Versicherungsagentur. Zu seinen Vorfahren gehört das Ehepaar, das in Öl gemalt und in Gold gerahmt in unserem Wohnzimmer dicht am Fenster hängt. Hugo hatte seine Frau, die ihm die Kinder Felix und Paula schenkte früh verloren. Seine zweite Frau, Maria Osterhaus, hat er sich aus Koblenz geholt. Die Portraits ihrer Eltern hängen auch bei uns im Wohnzimmer. Maria schenkte ihrem Mann außer Oskar noch die beiden Töchter Margot und Else. Wir wissen über die Ahnen unserer Familie noch mehr, aber das ist anderen Orts gesammelt und wartet auf die Darstellung.

Meine Mutter Antonie stammte aus dem Dorf Hockeln bei Hildesheim. Am 7.3.1887 ist sie dort geboren. Ihr Vater Josef Menshausen hatte einen Bauernhof. Er ist aber mit 33 Jahren gestorben und hat seiner Frau Antonie, geborene Hostmann zum Walde, seinen Hof und sechs Mädchen hinterlassen. Die jüngste wurde später meine Mutter.

Zuerst müsste ich euch nun erzählen, was mir von den einzelnen Orten, in denen wir gewohnt haben, noch in Erinnerung ist. Das will ich aber nicht hier tun. Ich habe das schon an anderer Stelle aufgeschrieben. Ich überspringe also meine ganze Schulzeit, in der ich immerhin neun verschiedene Schulen besucht habe. Ich knüpfe also in Zittau und zwar im Frühjahr 1934 an:

Damals kam eines Tages unser Direktor in die Klasse und las uns eine Nachricht vor. Darin stand, die "Reichsmarine" habe die Anmeldefrist für Offiziersanwärter um zwei Monate auf den 31. Mai verlängert. Ich spitzte die Ohren! Über die Marine hatte ich aus Büchern viel Aufregendes gelesen. Plötzlich sah ich für mich ein berufliches Ziel und die Möglichkeit, mich der politischen Organisation der NSDAP zu entziehen. Laut Weimarer Verfassung war nämlich Soldaten eine politische Betätigung in Parteien nicht gestattet und sogar das Wahlrecht entzogen. Das wurde auch von den Nationalsozialisten nicht geändert. Mein Vater hatte keine Einwendungen. Also schrieb ich meine Bewerbung. Schon beim Vorstellungsgespräch in Kiel stimmte ich einer Versetzung für den Zeitraum von viereinhalb Jahren zur Luftwaffe zu. Die brauchte für ihre Aufgaben über den Meeren in der Marine ausgebildete Beobachter. Ich hatte allerhand romantische Vorstellungen von diesem Beruf und sah ziemlich hoffnungsvoll in meine Zukunft. An Krieg dachte ich jedenfalls nicht, obwohl ich aus dem Geschichtsunterricht wusste, dass England in der Vergangenheit immer ein Feind eines zu starken Deutschland gewesen war. Von einem zu starkem Deutschland war im Mai 1934 keine Rede. Ich bestand alle Ausleseprüfungen der Marine und wartete nun auf die Einberufung.

Mein Vater war inzwischen wieder versetzt worden und die Familie zog im Januar 1935 nach München. Ich aber blieb in Zittau zurück und wohnte in einer Schülerpension, denn ich wollte zu Ostern dieses Jahres Abitur machen. Damals gingen die Schuljahre immer von Ostern zu Ostern. Alles klappte und ich fuhr mit dem Abiturzeugnis in der Tasche zu meinen Eltern nach München. Von dort wurde ich schon nach wenigen Tagen zur Marine nach Stralsund einberufen und galt darum als Bayer und Münchner.

Unsere Kaserne lag auf der Insel Dänholm. Einige von Euch waren ja schon einmal dort und haben gesehen, wie es heute da aussieht. Ich konnte nur wenig von damals wiedererkennen. Zu viel hatte sich in den 60 Jahren verändert. Vor allem ist der Dänholm jetzt gar keine richtige Insel mehr, weil inzwischen der Rügendamm gebaut wurde, von dem man direkt auf das frühere Kasernengelände gehen oder fahren kann. Immer wenn wir damals zu einem der kurzen und seltenen "Landurlaube" in die Stadt Stralsund wollten, mussten wir die Fähre benutzen, die bestand aus einem Boot, das von uns selbst an einer Leine über das Wasser gezogen wurde.

Selbstverständlich wurden wir vor jedem Landgang eingehend gemustert, damit wir ordentlich angezogen waren. Die Kokarde der "blütenweißen" Mütze musste genau über der Nase sitzen, Auch der "Exerzierkragen" und das "Seidentuch" und natürlich der blaue Anzug mit "Collani" und nicht zuletzt die Schuhe wurden genau gemustert.

Eine Kokarde ist eine Art Knopf in Nationalfarben, der an den Mützenbezug geheftet ist. Der Exerzierkragen ist der blaue Kragen mit den drei weißen Litzen. Er stammt noch aus der Zeit, als die Matrosen gepuderte Zöpfe trugen. Um die blaue Uniform nicht mit dem Puder zu beschmutzen, trug man diesen Leinenkragen, der gewaschen werden konnte. Die drei weißen Litzen haben die Engländer dazu getan, um ihren Admiral Nelson zu ehren, der drei wichtige Gefechte für sie gewonnen hatte: Abukir, Kopenhagen, Trafalgar. Das Seidentuch ist viereckig und schwarz mit einem feinen hellblauen diagonalen Faden. Es war ursprünglich ein Schweißtuch. Jetzt ist es, raffiniert gefaltet und zu einem Knoten gebunden nur ein Schmuck. Der Collani war ein kurzer Überzieher aus blauen Tuch, der früher von einem Schneider namens Collani angefertigt wurde.

Die Grundausbildung in Stralsund erhielten wir alle zusammen. Sie dauerte 12 Wochen. Danach wurden wir "Flieger" von den anderen getrennt. Jene kamen auf das Segelschulschiff "GORCH FOCK", um dann auf einem Kreuzer "EMDEN" oder "KARLSRUHE" eine halbjährige Reise zu machen. Wir Flieger kamen auf das Linienschiff "SCHLESIEN". Dort erhielten wir die Bordausbildung. D.h. Seemannschaft, (Pullen und Segeln, Reinschiff, Bootsdienst), Brückendienst, Navigation, Signalwesen (Winkern und Morsen, Flaggen-Alphabet), Waffendienst an allen Stationen, Dienst im Maschinenraum mit den drei Kolbendampfmaschinen, im Kohle und im Ölheizraum, in den Kohlebunkern und an den Hilfsmaschinen. Wenn unser Schiff Kohle übernehmen musste,war unsere Aufgabe in den Leichtern, in denen die Kohle angeliefert wurde oder in den Bunkern in denen sie verteilt werden mussten. Zu solchen Aufgaben hatte jeder einen Kohlenanzug, der nie gewaschen wurde.

An Bord waren wir in den Kasematten der 15cm Geschütze untergebracht.

Eine Kasematte ist der Raum an Bord unterhalb des Oberdecks, in dem ein Geschütz steht, das von dort durch eine Öffnung in der Bordwand schießen kann, während die Bedienungsmannschaft durch die Panzerung geschützt ist.

Dort lebten wir. Tische und Bänke, die unter der Decke zusammengeklappt waren, konnten aufgestellt werden und boten so die Möglichkeit zu Unterricht, zu Kartoffelschälen, zum Essen, zum Lesen und Logbuchschreiben. Dort schliefen wir in Hängematten, die dazu jeden Abend aufgehängt werden mussten. Natürlich gab es hin und wieder auch schlechtes Wetter und dann erlebten wir manchmal, dass das Wasser durch die Geschützpforten, die nie ganz dicht waren, in die Kasematte drang, und darin hin- und herschwappte. Das war besonders erfreulich, wenn wir morgens aus den Hängematten ausstiegen und gleich im Wasser standen. Dann war auch das "Zurren" der Hängematten schwierig, denn keiner wollte am Abend gern in einem nassen Bett schlafen.

Die Hängematten waren aus grobem Leinen. Gezurrt sollten sie auch Rettungsringe ersetzen können. Darum wurde das Zurren kontrolliert. Den Tag über waren sie im Hängemattschapp so eng verwahrt, dass sie manchmal noch abends warm waren. Immer aber dufteten sie nach den Schläfern.

Ein Schapp ist ein kleiner Raum, der außer der Tür keine Öffnungen nach draußen hat.

Lange Zeit war ich an Bord "Kuttergast". Das bedeutete, ich musste bei dem Ruf "Mann über Bord" sofort auf meinen Platz im Steuerbordrettungskutter flitzen, der in seinen Davits hoch über dem Wasser hing. Der vollbesetzte Kutter wurde dann von der Fiermannschaft Hand über Hand ins Wasser gelassen und konnte lospullen. Die beiden kräftigen Seile, an denen der Kutter hing, nennt man Kutterläufer. Als ich noch bei der Fiermannschaft war, passierte es, dass wir nachts den Kutter aussetzen mussten, um einen Offizier auf ein anderes Schiff zu bringen. Es hatte vorher etwas Seegang gegeben und ein seekranker Matrose hatte in den Korb des Kutterläufers gekotzt. Dadurch flutschte uns der Läufer durch die Hände. Wir hatten für diesen Fall einen Trick gelernt, mit dem ich den Absturz des Kutters verhindern konnte. Aber für die Kuttermannschaft gab es einen ziemlichen Schrecken, denn der Kutter hing ganz schief und sie mussten fürchten, ausgekippt zu werden.

"Gäste" nennt man die Mannschaften eines Schiffes, die gerade bestimmte Aufgaben haben: Signal-, Brücken- oder Kuttergäste.

Die Kuttergäste der Wache schliefen, wenn die SCHLESIEN in See war, immer angezogen in Netzhängematten, denn auch nachts konnte ja ein Mann über Bord gehen. In solchem Fall musste die Brückenwache mit dem Scheinwerfer nach dem Mann suchen und uns die Richtung angeben, wo er schwamm. Es ist bei dem kleinsten Seegang schwer, einen Menschen zu finden zumal bei Nacht. Nachdem wir ein Vierteljahr an Bord waren, wurden wir zu Kadetten ernannt. Das ist der unterste Dienstgrad, mit dem man die Offizierslaufbahn richtig beginnt. Dazu bekamen wir eine neue Uniform für offizielle Auftritte. Sie ähnelte sehr einem dunkelblauen Smoking. Er hatte auch eine steife Hemdbrust und eine schwarze "Fliege". Nun trugen wir an Land auch eine richtige Offiziersmütze und einen Dolch, der an einem speziellen Gehänge am Gürtel klapperte. Den trugen wir auch noch als Offiziere. Erst bei Kriegsbeginn wurde er abgeschaft.

Wir machten mit der "SCHLESIEN" zunächst eine Reise von unserem Heimathafen WILHELMSHAVEN, genannt Schlicktown, um Jütland herum und durch den großen Belt in die Ostsee, um einige Seebäder zu besuchen. Dort kamen immer viele Urlauber zu uns an Bord, die wir dann durchs Schiff führen mussten. Irgendwann in dieser Zeit kam eines Morgens der Kadettenoffizier zu uns in die Kasematte und erzählte, dass deutsche Heereseinheiten in das Rheinland eingerückt seien. Das war, als Folge des verlorenen Weltkrieges, von den Alliierten untersagt. Er endete seinen Bericht mit den Worten: "Ihr lebt in einer großen Zeit!" Ich hatte als Junge in Koblenz einen Begriff von der Besetzung der Stadt durch die Franzosen mitgekriegt. Mein Vater war dreimal von ihnen eingesperrt worden. So konnte ich seinen Ausruf wohl verstehen.

Durch den NORD-OSTSEEKANAL fuhren wir zurück nach WILHELMSHAVEN. Dort wurde unsere Auslandsreise vorbereitet. Zu der liefen wir am 1.12.35 aus. Sie führte uns nach BILBAO und CADIZ, zur Insel MADEIRA, zu den KANARISCHEN und den KAPVERDISCHEN Inseln, und nach LISSABON. In LA CORUNNA schrieben wir unsere "Fähnrichsarbeit" und wurden nach der Abschlußbesichtigung in WILHELMSHAVEN alle "Fähnriche zur See" und konnten den "Smoking" vorläufig vergessen. Der tauchte erst als Gala-Uniform später wieder auf. Aber nur zu seltenen Gelegenheiten und im Krieg überhaupt nicht mehr.

Zum ersten Male konnte ich jetzt auf Urlaub nach München fahren und galt dort als ein mit Salzwasser gewaschener Seebär. Danach ging es dann weiter mit den Ausbildungskursen für Artillerie in KIEL, für Nachrichten- und Torpedowesen in FLENSBURG-MÜRWIK. In KIEL machte ich privat meinen Autoführerschein.

Dann kam die Marineschule in FLENSBURG-MÜRWIK, der Offizierslehrgang für alle Fähnriche unseres Jahrganges. Der dauert neun Monate mit viel Theorie und viel Praxis und Sport. Als wir unsere Offiziersprüfung bestanden hatten, gingen die anderen zu Ihren Waffenkursen, wir "Flieger" kamen auf die Flotte und ich auf das Panzerschiff "ADMIRAL GRAF SPEE", konnte aber nicht gleich einsteigen, weil sie noch in Spanien war, um dort den im Bürgerkrieg gefährdeten deutschen Staatsbürgern zu helfen. Nach ihrer Rückkehr bereitete sie sich auf eine ganz andere Aufgabe vor: Sie sollte nämlich zur Flottenparade anlässlich der Krönung des Britischen Königs, des Vaters der jetzigen Königin Elisabeth, nach PORTSMOUTH fahren. Das war natürlich eine wunderbare Sache, eine richtige Prinzessin winken zu sehen. Schade, aber ich kann vieles nicht erzählen, denn aus meinem Brief soll ja kein Buch werden. Aber es gibt ein Album mit Fotos.

Vielleicht schreibe ich da noch was zu. Wir mussten leider auch den Aufenthalt in PORTSMOUTH vorzeitig abbrechen, weil es in Spanien Zwischenfälle gegeben hatte. Unser PANZERSCHIFF "DEUTSCHLAND" war bombardiert worden und hatte Tote und Verwundete. PANZERSCHIFF "ADMIRAL SCHEER" hatte daraufhin ALMERIA beschossen. Die Lage war also kritisch. Die "DEUTSCHLAND" war schon wieder in der Heimat, Aber "SCHEER" musste abgelöst werden. Da waren wir dran und fuhren nun zusammen mit einem Kreuzer und vier Torpedobooten nach Spanien. So eine Fahrt ist eigentlich eine ruhige Sache. Zwar fuhren wir auf den Mittelmeerstrecken mit besonderer Vorsicht, aber einen Alarm gab es nur im Hafen von CADIZ. Ich wollte gerade mit einigen anderen Fähnrichen an Land gehen, als es Fliegeralarm gab. Meine Gefechtsstation war bei den vier Flugabwehrmaschinengewehren, die auf einer Art Balkon oben am Schornstein standen. Ich nahm mir nicht die Zeit, erst noch die Uniform anzuziehen, und stand in kürzester Zeit in Zivil auf meiner Station. Flugzeuge kamen keine. Die Ferngläser der Brückenbesatzung unter mir interessierten sich bald nur für den "Zivilisten" am Schornstein.

Auf dieser Reise gab es keine besonderen Vorfälle mehr. Ich konnte noch den Hafen von Tanger besuchen. Der war damals ein international geschützter Freihafen, heute gehört er zu Marokko. In Gibraltar versuchte ich eine Besteigung des Felsen, um die dort lebenden einzigen Affen Europas zu sehen. Das endete aber an einem Schlagbaum mit einem britischen Soldaten. Von den Affen wollte der noch nichts gesehen haben. Keinesfalls wollte er uns erlauben, nach ihnen zu suchen.

Wir kamen auch nach Cagliari auf Sardinien. Damals war der dortige Strand noch durch Netze gegen Haie gesichert. Wie mag das heute sein? Mehrmals ankerten wir auf der Reede von Lagos am Südende von Portugal. An dieser damals so einsamen Küste lagen wir mit den vier Torpedobooten zusammen. Die litten vor Anker ohne die geringste Brise ziemlich unter der Sonne. Darum bekamen sie jeden Morgen von uns Eis. Außerdem Brötchen und die Funkpresse. Alles Sachen, die sie selbst nicht haben konnten. Eines Morgens, als ich Wache hatte, schickte ich unser Verkehrsboot damit los und ließ gleichzeitig einen Winkspruch hinübergehen: "Brötchen, Eis und Funklügen sind unterwegs". Alle Wink- oder Morsesprüche, die von uns abgegeben wurden, mussten in das Signalbuch eingeschrieben werden. So kam es, dass ich kurz nach Wachablösung zum Signaloffizier gerufen wurde. Der eröffnete mir, dass derlei dumme Sprüche erstens nicht erlaubt seien und zweitens unangenehme Folgen für mich haben könnten. Jupp Göbbels hätte keinerlei Verständnis für solche Dummheiten. Er hat es nicht erfahren.

Joseph Göbbels war der Propagandaminister Hitlers. Ein unerbittlicher Fanatiker und Nationalist. Von ihm stammt die Frage an den Reichstag: "Wollt ihr den Totalen Krieg?". Er hat bei der Eroberung Berlins durch die Russen seine Frau, seine Kinder und sich selbst getötet.

Mit der Rückkehr von dieser Reise, endete auch meine erste Zeit bei der Seefahrt und ich wurde nach PAROW bei STRALSUND versetzt.

Dort war es nun wieder ähnlich, wie auf der Marineschule. Also wieder in einer Schülergruppe, die eine Menge lernen sollte: Dazu gehörte täglich die Übungsstunde an der Morsetaste und, so oft wie möglich, praktischer Funkverkehr zwischen dem fliegenden Flugzeug und der Bodenstelle. Die Flugzeuge, die wir meistens flogen, waren die He60, einmotorige Doppeldecker mit Schwimmern. Gedacht für die Nahaufklärung. Da musste man sich schon gut warm anziehen, denn Flugzeugführer wie Beobachter saßen immer in der frischen Luft. Oft wurden wir um die Insel Bornholm herum geschickt. Das war insofern lustig, weil wir nördlich der Insel immer die Verbindung verloren. Die Insel machte einen Schatten für die Funkwellen. Einmal, schon beim Heimflug, löste sich ein Blech der Motorverkleidung. Ich musste fürchten, dass das Blech, das heftig hin und her klapperte, vom Wind abgerissen würde und in das Leitwerk fliegen könnte. Darum gab ich einen entsprechenden Funkspruch zur Zentrale und der Flugzeugführer landete auf einer ziemlich kabbeligen See. Dann montierte ich das Blech ab und nahm es mit in die Maschine. Wir konnten wieder starten und setzten unseren Flug fort. Zu Hause waren natürlich schon alle Rettungsmaßnahmen angelaufen. So ein kleines Flugzeug ist auf der offenen See ja auch sehr verletzlich und darum gefährdet. Alles war froh, als wir heil landeten. Dazu müsst ihr wissen, dass die HE60, wie auch die zweimotorige HE59 noch mit Stoff bespannt waren.

Natürlich wurde nicht nur Funkverkehr geübt, sondern auch das Schießen aus der Maschine auf ein Bodenziel. Dabei habe ich einmal versehentlich auf eine Scheibe geschossen, die noch nicht freigegeben war. Dafür bekam ich drei Tage Stubenarrest.

Auch Bombenwerfen musste ich lernen. Das geschah aus der HE59, die 20 Zementbomben, je 50 kg, mitnehmen konnte. Sie brauchte aber 45 Minuten bis sie auf der Höhe von 3500 m war, und 30 Minuten um wieder herunter zu sein. Bedenkt: es gab ja damals Flugzeuge erst seit 45 Jahren, weniger also als die Zeit von damals bis heute. Jets kamen erst ganz am Ende des Krieges auf.

Einmal wurden wir auch mit mehreren verschiedenen Flugzeugtypen nach PALMNICKEN an der ostpreußischen Küste verlegt.

Im Rahmen dieser Unternehmung flog ich eines Tages mit einem Flugboot, einem DO-WAL, zwischen der Insel Gotland und dem schwedischen Festland nach Norden und wollte gerade wieder über die offene See nach Süden zurückfliegen, als ein Funkspruch uns meldete, dass zwischen uns und PALMNICKEN eine Gewitterfront quer über der Ostsee lag. Ein Ausweichen gab es nicht. Wir mussten hindurch. Schnell musste die Schleppantenne hereingenommen werden. Dabei funkte es schon gefährlich im Funkraum und bald waren wir mitten in den Gewitterwolken. Die Böen rissen den Wal hin und her, der Hagel knatterte gegen die Bordwand und die Tragflächen. Der Propeller über uns sprühte einen Lichtkranz um sich wie ein Feuerwerk. Aber der Wal hatte Benzinmotoren, darum konnten wir das Schauspiel nicht mit ruhiger Gelassenheit betrachten und waren froh als wir die Sonne wieder scheinen sahen.

Wir Fähnriche wussten ja, dass wir ein Jahr in PAROW sein würden. Darum hatten wir nichts dagegen, dass in unserer Messe ein Fest mit Damen arrangiert wurde. Aber woher nehmen wir die Damen? Dafür gab es eine Liste. Aus dieser wurde mir eine zugeteilt. Bei deren Eltern musste ich nun einen Besuch machen und mich vorstellen. Dabei sollte ich darum bitten, ihre Tochter zu eben diesem Fest in Parow einladen zu dürfen. Alles verlief nach Plan und ich tanzte einen Abend lang vornehmlich mit dieser Dame. Leider war sie sehr wortkarg und antwortete immer nur mit ja oder nein.

Die Bürger von Stralsund sahen das Problem mit uns fünfzig Fähnrichen sehr wohl. Sie boten alles auf, um das Überangebot an jungen Männern mit guten Zukunftsaussichten zu kanalisieren. Das geschah auf vielfältige Weise. Es gab einen Verein, der veranstaltete Vortragsabende, die fast regelmäßig in Tanzparties übergingen. Schon an dem ersten nahm ich teil, traf dort auf meine Dame des Messeballs. Natürlich, als der erste Ton der Tanzmusik zu hören war, wurden die jungen Damen von den Herren durch eine Verbeugung aufgefordert. Ich kannte ja nur die eine und vor ihr machte ich meinen "Diener" Es erhoben sich aber zwei. Na, ich tanzte natürlich mit der, die ich schon kannte. Aber danach ging ich zu der anderen, bat um Entschuldigung und tanzte das nächste Mal mit ihr. Sie wurde eure Großmutter. Das dauerte noch eine Weile. Denn so gern ich immer lieber mit ihr zusammen war, hatten wir auch noch unseren Dienst, der mir viel Freude machte, aber Zeit nahm.

In der Welt geschah auch noch etwas: Während ich gerade mit meiner Gruppe einen Übungsflug in der Ju52 nach München machte und Gelegenheit hatte meine Eltern zu besuchen, wurde ich am Rande Zeuge des Einmarsches deutscher Truppen in ÖSTERREICH. Das war so:

Ich war mit meinen Eltern beim Abendessen, als mein Vater einen Anruf bekam. Vom Telefon zurück war er sehr aufgeregt und sagte nur: Es gibt Krieg! Er hatte das geschlossen aus dem Befehl, die Reichsbank habe die Kassen der Truppenzahlmeister mit Geld aufzufüllen. Das war eine Maßnahme des Mobilmachungsplanes. Also gab es Krieg! Nun brauchte er aber die fünf Beamten, die einen Schlüssel zum Tresor hatten. Die wieder hatten nicht alle Telefone. Also gab er mir sein Auto und die Anschriften der Beamten. Da fuhr ich nun los, um sie zu alarmieren und in die Bank zu bringen. Wir waren sehr aufgeregt. Krieg? Mit wem? Warum?

Am Tag darauf flogen wir, als sei nichts geschehen, über Norderney nach Parow. Am nächsten Morgen erst weckte uns der Hausmeister mit der Nachricht vom Einmarsch in Österreich. Im Radio hörten wir dann die Freudenrufe der Österreicher. In der "Wochenschau" im Kino konnten wir die Freude der Österreicher auch sehen. Die Welt war bald wieder ruhig. Noch gab es keinen Krieg.

Unser Dienst ging seinen gewohnten Gang und am 20. April wurden wir allesamt zu Leutnanten befördert. Natürlich habe ich eure Großmutter noch oft gesehen und bin mit ihr spazieren gegangen. Im Juni gab es dann ein Mittsommerfest, das von der Schwedischen Gesellschaft in seinem Sommerhaus veranstaltet wurde. Stralsund ist ja lange schwedisch gewesen, von daher gab es immer noch Erinnerungen bei den Bürgern der Stadt. Zum Mittsommerfest gehörten natürlich ein zünftiger Tanz und auch das Johannisfeuer im Garten des Sommerhauses. Als das etwas niedergebrannt war, begannen die mutigsten Paare darüber zu springen. Die Mädchen hatten natürlich Bedenken wegen ihrer langen Kleider. Aber auch Großmutter ist mit mir über das Feuer gesprungen. Man sollte sich dabei etwas wünschen. Ich war nur darauf bedacht, das ihr fußlanges Kleid nicht verbrannte. Aber sie hat mir jetzt erst erzählt, sie habe "Oskar" gewünscht. Doch die Erfüllung ihres Wunsches schien schon bald sehr unwahrscheinlich zu werden, denn ich wurde ein Vierteljahr später nach List versetzt, einem Fliegerhorst an der Nordspitze der nordfriesischen Insel Sylt.

Ich gehörte zu einer Staffel, die den Fernaufklärer Do18 flog. Ein Modell dieses Flugbootes steht bei uns im Wohnzimmerschrank. Aber wir kamen nicht viel zum Fliegen, weil die Flugzeuge geschont werden sollten. Während der Wintermonate wurde ich als Kompanieoffizier nach Kiel ausgeliehen. Das war kein Wunschkommando, besonders deswegen nicht, weil ich viel zu oft Begräbnisse mit Musik und Salut begleiten musste, wenn wieder ein Flugzeug abgestürzt war. Von meinem Jahrgang sind allein acht Mann abgestürzt, bevor der Krieg die Verluste forderte. Im April 1939 kehrte ich zu meiner Staffel in List zurück.

Als ich in Stralsund von ihr Abschied nahm, hatte ich eurer Großmutter versprochen, ich würde ihr jeden Brief beantworten. Das Versprechen habe ich gehalten. So gingen eine Menge Briefe hin und her. Ich kann mir heute beim besten Willen nicht mehr vorstellen, was in ihnen gestanden haben könnte. Aber Liebesbriefe waren es nicht. Einmal noch habe ich sie wiedergesehen, als ich auf einer Urlaubsreise nach Elbing, wo meine Eltern jetzt wohnten, in Stralsund Station machte. Als sie mich auf dem Bahnhof in Empfang nahm, habe ich ihr erzählt, ich sei auf einer Dienstreise. Diese Notlüge konnte ich nur ihren Eltern gegenüber aufrechterhalten, eure Großmutter war zu traurig, weil ich nicht ihretwegen nach Stralsund gekommen war. Das konnte ich nicht lange mit ansehen.

Bei diesem Aufenthalt in Elbing erzählte mir meine Schwester, die dicht an der damaligen Grenze zu Polen bei Marienburg im "Landjahr" war, wie sie von den Polen beschimpft worden sei. Selbst in der Kirche hatte der polnische Pfarrer ihre Anwesenheit benutzt, um gegen sie als Deutsche zu hetzen.

Noch einmal vor dem Krieg im Sommer 1939 konnte ich einen Urlaub so legen, dass ich Großmutter sehen konnte. Ich hatte mir von meinem Vater das Auto erbeten. Der schickte es mir durch den polnischen Korridor per Bahn bis Schneidemühl in Hinterpommern, das heute zu Polen gehört. Ich fuhr damit nach Zittau und traf Ernst Lorenz, der ebenso wie ich Urlaub von unserer Staffel hatte. In Eger hatten wir die erste Panne, die aber von einem tüchtigen jüdischen Handwerker behoben werden konnte, obwohl Ersatzteile wegen der gespannten Situation nicht mehr zu bekommen waren.

Zwar hatten die Großmächte Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland im Jahr zuvor nach dramatischen Verhandlungen eine Übereinkunft, die "Münchner Verträge", zustande bekommen. Durch sie war die Tschechoslowakei gezwungen worden, die von Deutschen bewohnten Gebiete an Deutschland abzutreten. Aber Hitler hatte im Frühjahr 1939 die übrige "Tschechei" widerrechtlich zu einem deutschen Protektorat gemacht.

Die Tschechoslowakei war Jahrhunderte hindurch Teil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, später des Kaiserreiches Österreich und wurde erst durch dem Versailler Vertrag* selbständig. Hitler war Österreicher. Das hat sicherlich zu dieser Widerrechtlichkeit beigetragen.

In den vor dem ersten Weltkrieg zu Deutschland gehörigen Gebieten Polens gab es schon lange immer wieder Unruhen zwischen den dort wohnenden Polen und Deutschen.

Vor dem ersten Weltkrieg gab es einen Staat Polen nicht. Durch drei "Teilungen" im 18. Jahrhundert war es unter den Preußen, Österreichern und Russen verteilt. Nach dem ersten Weltkrieg wurde Polen in Folge des Versailler Vertrages wieder errichtet. Dazu trat Deutschland die Provinz Posen und große Teile Westpreußens ab. Dabei blieben die Sprachgruppen in ihren jeweiligen Wohngebieten.

Wir trafen eure Großmutter und ihre Eltern in Gößweinstein in der fränkischen Schweiz. Mit ihr fuhren wir am nächsten Tag nach Bamberg. Der Besuch im Dom, beim Bamberger Reiter, machte mir die große innere Kluft zwischen uns beiden klar. Ich war deswegen sehr unglücklich. Sah ich doch ein Mädchen, das ich mehr schätzte, das aber in einer ganz anderen geistigen Welt lebte wie ich. Natürlich wusste ich, dass sie evangelisch war, aber sie schien mir auch von der Kirche, zu der sie dem Namen nach gehörte, weit entfernt. Ich war ratlos und traurig.

Unsere Weiterreise endete schon in Nürnberg, da wollte der Wagen endgültig nicht mehr. Ich musste ihn nach Elbing zurückschicken, was auch nur deswegen ging, weil ich beweisen konnte, dass der Wagen im Kriegsfalle für die Reichsbank beschlagnahmt war. Dennoch, an wirklichen Krieg dachte niemand. Vielleicht an eine Überraschungsaktion. Aber nicht an einen Krieg. Es ist schwer zu sagen, was ich mir bei den bisherigen europäischen Schachzügen Hitlers gedacht habe. Ihr müsst bedenken, dass alles, was bisher geschehen war, in meinen Augen eine Wiedergutmachung des Unrechts des Versailler Vertrages von 1918 war. Das Stillhalten der Großmächte erschien mir wie eine Art Zugeständnis.

Ich war noch nicht lange wieder bei der Staffel, da erhielten wir den Auftrag, in den dänischen Meerengen nach polnischen Zerstörern zu suchen, die nach England unterwegs waren. Mehrere Tage flogen wir Einsätze rund um Skagen. Wir haben sie gefunden, haben sie aber unbehelligt fahren lassen. Als ich von einem dieser Einsätze hundemüde zurückkam, erfuhr ich, dass deutsche Truppen in Polen einmarschiert waren. Erst am anderen Morgen wurde mir klar, dass Hitler sehr hoch gespielt hatte. Natürlich hatten wir keine Ahnung von dem Betrug mit dem "Überfall auf den Sender Gleiwitz".

Dieser Überfall war im Auftrag der deutschen Führung durch ein paar Männer, vielleicht Deutschpolen, ausgeführt worden. Er lieferte den Vorwand für den deutschen Angriff auf Polen. Davon hatten wir keine Ahnung.

Wir fragten uns gespannt, ob Churchill, der neue Regierungschef in England, den in unseren Augen kriminellen Polen, Hilfe leisten würde. Die Antwort kam schnell: Frankreich und England erklärten Deutschland den Krieg.

Nun flogen wir mit unseren Do18 und suchten die Nordsee nach britischen Schiffen ab. Doch im ganzen Herbst habe ich kein einziges gesehen. Dann kam der harte Winter, der uns drei Monate Eis bescherte und wir konnten überhaupt nicht fliegen. In der großen Welt sah es auch wieder ganz ruhig aus. Der Krieg in Polen war nach vier Wochen zu Ende und in Deutschland durfte wieder getanzt werden. Das war vorher wegen des Krieges verboten.

Im Oktober bekamen alle Oberprimaner und sogar Oberprimanerinnen das "Notabitur". Dann wurden sie zu unterschiedlichen Diensten "verpflichtet".

Alles schien zu schlafen. Wir allerdings wurden weiter zu Wachsamkeit aufgerufen und eure Großmutter musste ihren Dienst im Flugwachkommando Stralsund, den sie nun schon seit September regelmäßig leistete, immer weiter tun. Eines Tages, als sie gerade wieder Wache hatte, verfolgte sie einen Fliegerangriff auf Hörnum Sylt, bei dem viele Stunden lang alle fünf Minuten ein Flugzeug seine Ladung auf uns abwarf. Unsere Staffel war schon im Oktober nach dorthin verlegt worden. Sie glaubte mich in Lebensgefahr und hatte Angst. Die Engländer hatten wenig Glück mit ihrem "Großangriff". Es gab kaum Schaden und keinen Menschenverlust.

Mit dem Frühling 1940 hatte die Ruhe an allen Fronten geendet. Die Deutschen drangen mit Schiffen und Landtruppen nach Dänemark und Norwegen vor. Die Marine verlor dabei viele Schiffe, aber auch die Engländer hatten Verluste und die Deutschen konnten nach ein paar Wochen sicher sein, dass schwedisches Erz nicht mehr nach England verschickt werden konnte.

Wir waren blauäugig genug, zu glauben, die Norweger würden uns mit offenen Armen empfangen. Das aber taten sie nicht. Ihre Feindschaft war zwar anfangs noch sehr gedämpft und ratlos, wuchs aber mit der Zeit und wurde gefährlich.

Anfang Mai des gleichen Jahres führten die deutschen Truppen dann ohne Rücksicht auf die Neutralität Hollands und Belgiens eine Offensive gegen Frankreich, die sehr schnell zu einer operativen Entscheidung führte. Auch die in Belgien gelandeten englischen Kräfte wurden über den Kanal zurückgeworfen, aber nicht vernichtet. Wir hielten das für einen Versuch, mit den Engländern zu einer Verständigung zu kommen.

Unsere Staffel wurde im Juni nach Stavanger verlegt. Wir wohnten dort in einem Wochenendhaus. Wenn wir nicht flogen, hatten wir oft die Möglichkeit, in die Stadt zu gehen. In einem kleinen Schmuckladen kaufte ich ein kleines Kettchen für Großmutter, über das sie sich aber erst Ostern 1941 freuen konnte.

Schon nach ein paar Wochen wurde ich auf die Fliegerwaffenschule Bug auf Rügen versetzt. Ich sollte dort die Ausbildung an den Waffen leiten. Ehe ich aber mit dieser Aufgabe richtig beginnen konnte, wurde die Schule nach Parow bei Stralsund verlegt.

Ah, werdet ihr sagen, dann war er ja nun bei Großmutter. Falsch! Sie war nämlich im Juni nach Kopenhagen an das dortige Flugwachkommando versetzt worden. Das kam so: Im April hatte Großmutter ihren ersten Urlaub und war erst allein nach Lübeck und dann mit ihrer Mutter nach Warnemünde gefahren. Ich hatte auch Urlaub und wir trafen uns dort. Außer Strand gab es dort noch einen Flugplatz und der Kommandant war mein früherer Staffelkapitän in List. Dem machte ich auch eine Visite und wurde sofort mit Großmutter zu einem Besuch am Abend eingeladen. Wir lernten dort noch einen Offizier aus Berlin kennen, der gerade nach Kopenhagen wollte, um dort ein Flugwachkommando einzurichten. Gleich hatte Großmutter die Hand hoch und erklärte, sie sei doch die Richtige, wenn Helferinnen dafür gesucht seien. So kam es, dass der Leiter in Stralsund den Befehl bekam, Fräulein Anneliese Bratsch und weitere soundso viel Helferinnen nach Kopenhagen zu schicken. Es musste also für uns beim Briefeschreiben bleiben.

Meines Bleibens war in Parow auch nicht lange. Denn die Ausbildung an den schweren Waffen verlangten größere Freiflächen. Die fand ich nach langem Suchen in Hörnum, das inzwischen ganz leer war, weil alle Frontstaffeln nach Norwegen verlegt waren. Weihnachten des Jahres 40 war ich aber noch in Parow und hatte einen jungen Drahthaarterrier für eure Großmutter gekauft. Sie sollte nämlich zu Weihnachten ihren ersten Urlaub haben. Mein Geschenk war kein großer Erfolg, denn nach Kopenhagen durfte ein Hund nicht mit, und so wurde er tatsächlich der Hund eurer Urgroßmutter. Der wurde er aber später von einem Russen geklaut.

Das Treffen mit Großmutter während ihres Urlaubs gab uns Gelegenheit zu vielen Gesprächen, die für unsere Zukunft wichtig wurden. Ich glaubte, nicht das Recht zu haben, ihre protestantische Welt in Frage zu stellen. Andererseits sah ich keine Möglichkeit für ein glückliches Leben ohne eine innere Einigkeit mit ihr. Leider haben wir die Briefe nicht mehr, die jetzt gewechselt wurden. Aber ich glaube nicht, dass ihr sie für Liebesbriefe halten würdet, wenn ich mir auch Mühe gab, mich in das Denken des nun zwanzigjährigen Mädchens einzufühlen. Es schien mir leicht zu sagen: "Ich liebe dich!", es schien mir aber schwierig, die Verantwortung für ein ganzes Leben zu übernehmen. Erst ein weiteres Treffen, diesmal in Hamburg machte uns beide ganz sicher über den weiteren Weg. Auf dem gab es natürlich noch mancherlei Schwierigkeiten. Großmutter musste aus Kopenhagen zurückkommen dürfen, ich brauchte eine Heiratsgenehmigung, es ging dann doch alles glatt.

Am 15. September fuhren wir zwischen meinem und Großmutters Vater zum Standesamt im Rathaus, das einige von euch kennen. Aber der Standesbeamte wollte uns nicht trauen, weil die Rückmeldung meines Aufgebotes in Hörnum nicht vorlag. Glücklicherweise fand Großmutters Vater einen ehemaligen Schüler im Standesamt. Der brachte die Sache in Ordnung. Wir wurden "kriegsgetraut". Das ging ohne Aufgebot.

Am nächsten Tage war dann die Trauung in der Kirche, die manche von euch in Stralsund kennengelernt haben. Noch am späten Abend wurden wir von der Hochzeitsgesellschaft an die Bahn gebracht. Und nun begann unser gemeinsames Leben. Allerdings hatte dieses nur eine Dauer von 14 Tagen und eine vage Hoffnung für unsere Zukunft. Ich musste ja wieder zurück zu meinem Ausbildungsdienst in Hörnum. Nur etwa alle Monat konnte ich für ein Wochenende zu meiner jungen Frau, eurer Großmutter, nach Stralsund fliegen. Und auch das ging nur für ein halbes Jahr.

Danach wurde ich wieder zur Marine versetzt und kam nun in die U-Boot-Ausbildung. Die begann in Gotenhafen, das heute wieder Gdyngia heißt, und wurde dann in Flensburg fortgesetzt, wo mich Großmutter für ein paar Tage besuchen konnte. Ihr müsst bedenken, dass sie, ebenso wie ich, unter Militärrecht stand und nicht fahren konnte, wie sie wollte. Sie musste ja ihren Dienst im Flugwachkommando tun. Immer im Wechsel Abendwache, Nachtwache, Morgenwache, immer so weiter, Woche für Woche. Und der Krieg wurde immer drückender für alle, denn inzwischen hatten deutsche Truppen auch den Balkan und Griechenland besetzt, sie kämpften in der Wüste Afrikas und waren tief in das riesige Russland eingedrungen. Einsichtige Leute machten sich große Sorgen. Immer mehr Soldaten mussten ihr Leben lassen. Immer schwieriger wurde es, das Notwendigste für Essen, Kleidung und Heizung zu bekommen.

An unserem ersten Hochzeitstag 1942 ging ich als Wachoffizier auf U-67 in See. In die Karibik. Die Fahrt dauerte 14 Wochen. Ich konnte also Weihnachten zu Hause sein. Aber am ersten Januar begann schon mein Kommandantenlehrgang in Memel, das liegt heute in Litauen. Der Lehrgang dauerte nur vier Wochen, doch auch dann war keine lange Ruhe.

Großmutter aber erwartete unser erstes Kind. Jetzt brauchte sie zwar nicht mehr in den Dienst, aber sie hatte ihre ständige Sorge nun auch für das noch Ungeborene. Zum Glück konnte sie in Stralsund im Haus ihrer Eltern wohnen. Dort war sie noch einigermaßen sicher. Doch auch das änderte sich bald! Bomben fielen.

Inzwischen war ich Mitte März mit der Indienststellung meines U-Bootes U-843 in Bremen beauftragt worden. Jeden Tag wartete ich auf die Nachricht von Großmutter. Aber Christian nahm sich Zeit und schafte es dann, dass ich gerade auf der Fahrt von Kiel nach Stettin, heute auch polnisch, war. Erst am Ziel erhielt ich das Telegramm mit der Nachricht. Zum Glück konnte ich sofort einen allerdings nur kurzen Besuch machen. Es war ja nicht weit. Ihr könnt euch nicht vorstellen wie herrlich es für uns junges Ehepaar war, ein Kind zu bekommen. Wir nannten unseren Jungen Christian, weil wir ihn für sein ganzes Leben immer daran erinnern wollten, dass seine Eltern Christen waren. Wir wussten ja nicht, wie lange wir sein Leben begleiten konnten.

Nun folgte für mich eine ziemlich lange Zeit, in der das Boot eingefahren wurde, jeder an Bord musste seine Aufgabe auch im Stress beherrschen. Natürlich der Kommandant wie jeder andere. Danach gab es dann einige Zeit, in der die Werft noch die Restarbeiten erledigen musste. Das gab Großmutter die Möglichkeit mit Christian in Stettin bei mir zu wohnen. Dann aber musste U-843 zu seiner ersten Reise auslaufen. Die endete schon nach 10 Wochen in Lorient in der Bretagne, weil das Boot zu einer Fahrt nach Südostasien ausgerüstet werden sollte. Ich durfte Großmutter über das Ziel der zweiten "Unternehmung" natürlich nichts sagen, sondern nur von einer sehr langen Reise sprechen, als ich mich von ihr verabschiedete. Dann bekam sie bis August 1945 keine persönliche Nachricht mehr von mir. Kein Telefon, kein Brief, nur manchmal ein gedruckter Zettel von einer Dienststelle mit Sätzen wie: es geht ihm gut, er tanzt und spielt Golf...

Aus dieser Zeit folgende Begebenheit: Ich fuhr mit dem Zug über Berlin nach Paris, wo ich in den Sonderzug für die U-Bootleute erreichen wollte. Im Abteil saß ein junger Offizier, der, wie sich herausstellte, aus Kiel kam und wie ich nach Lorient wollte. Ich merkte, dass er etwas Schweres auf dem Herzen hatte, und ließ mich daher bereden, den Sonderzug fahren zu lassen. Das wurde möglich, weil er sicher war, vom Flugplatz Orly aus nach Lorient fliegen zu können.

Die Nacht verbrachten wir in einem Hotelzimmer und dort erzählte er mir, was ihn bedrückte. Er war als Leitender Ingenieur mit seinem Kommandanten, zwei Wachoffizieren in die Karibik gefahren. Dort hatten sie gute Erfolge gehabt und waren darum bei Ihrer Rückkehr entsprechend begrüßt worden. Die Offiziere sind gemeinsam zu einem Schi-Urlaub in die Berge gefahren. Als sie diesen Urlaub einige Tage genossen hatten, wurden sie alle nach Kiel vor das Kriegsgericht gerufen. Als Zeugen die meisten, der Kommandant als Angeklagter.

Ich war entsetzt. Wie konnte eine Handvoll Offiziere, die eine Unternehmung zusammen hinter sich hatten, mit ihrem Kommandanten in Schi-Urlaub fahren und ihn vor Gericht im Stich lassen.

Ich fragte zurück und erfuhr, dass der Bootsarzt Anzeige erstattet hatte, der Kommandant habe das Bild Hermann Görings, das in jedem U-Boot fest montiert war, losgerissen. Das war wohl eine Affekthandlung, die aber als Angriff auf den Staat gewertet worden war.

Ich erkundigte mich, ob denn nicht einer von seinen Kameraden für seinen Kommandanten eingetreten sei. Nein, erfuhr ich, keiner von der Besatzung. Nur der Helgoländer Jansen und noch einer, die aber beide auch schon "Dreck am Stecken" hätten. Das Urteil war schon gefällt.

Wir haben beide wohl schlecht geschlafen. Der nächste Tag war ziemlich hektisch. Wir mussten nach Orly. Dort fanden wir das Geschwader, mit dessen Hilfe wir fliegen wollten. Wir bekamen einen "Fieseler Storch" mit Flugzeugführer. Wegen der Luftlage mussten wir irgendwo zwischenlanden und ich konnte mir auf den Karten ansehen, wo die Feindflugzeuge herumflogen. Erst nach längerer Betrachtung waren auch zwei deutsche Maschinen zu entdecken. Dennoch starteten wir nach einiger Zeit wieder, bekamen unseren Zug und erreichten Lorient.

Zufällig traf ich schon bald den Helgoländer Jansen. Er berichtete sehr aufgebracht über das Gericht und sein Urteil.

Dönitz hatte sich zu einem Besuch in Brest angemeldet. Alle Kommandanten, waren eingeladen. Helgoländer Jansen war eine Zeitlang Adjutant bei Dönitz gewesen. Da sahen wir eine Möglichkeit! Als die Zusammenkunft in Brest beendigt war, saß Jansen im Wagen des Großadmirals. Der versprach: Ich werde mir den Burschen selbst ansehen. Das Ergebnis habe ich erst nach dem Krieg erfahren: Dönitz hatte sich gegen den beleidigten Göring nicht durchsetzen können.

Lebenslauf von U-843, das U-Boot, dessen Kommandant ich war.

Ein U-Boot ist zwar eine Röhre aus Stahl und noch manches andere, aber es ist nicht nur eine Maschine, sondern auch der Lebensraum für eine Besatzung von fast 60 Männern. Dicht beieinander haben sie darin bei Hitze und Kälte, bei Seegang und ruhigem Wetter gelebt. Die meisten von ihnen haben wochenlang die Sonne nicht gesehen. Und dennoch glaube ich sagen zu dürfen, dass das Boot uns auch ein wenig Wohnung und Schutz bedeutete. Etwas also, was uns nahe war. Darum denke ich von einem Lebenslauf sprechen zu dürfen, den ich jetzt kurz in Erinnerung bringen und erzählen will.

24.03.1943 Indienststellung in Bremen
17.03.1943 nach Kiel, Abnahme durch Experten der Marine
16.04.1943 nach Stettin, unterwegs Erprobung der Dieselmotoren
01.05.1943 nach Danzig, Hela, Pillau: Ausbildung, Einfahren der Besatzung
19.07.1943 nach Stettin: Restarbeiten
27.09.1943 nach Kiel: Restausrüstung (z.B. Verpflegung, Diesel, Munition)
07.10.1943 Auslaufen zur ersten Unternehmung mit Anlaufen von Christiansand, Haugesund, Bergen, und Drontheim,
dort Neuverpackung der Stevenrohre
15.10.1943 Auslaufen zum Nordatlantik
01.11.1943 Schwere See südlich Grönland, Vierling über Bord, Dieselmotoren machen Schwierigkeiten Alle Versuche der U-Bootführung, die Geleitzüge des Gegners abzufangen, scheitern, solange die Unternehmung dauert.
22.11.1943 Fehlgeschlagener Angriff auf Zerstörer. Schwere Wasserbomben bei 15 Anläufen. Boot unversehrt da auf 200m Tiefe. Nur Verlust eines Torpedos
07.12.1943 Rückruf nach Lorient
15.12.1943 Wiedereinlaufen im Skorffbunker Lorient.
19.02.1944 Auslaufen Lorient
06.03.1944 ein spanisches Handelsschiff kontrolliert
13.03.1944 ein portugiesisches Handelsschiff kontrolliert, ein britischer Passagier festgenommen
19.03.1944 Versorgung aus U-488, Briten abgegeben
04.04.1944 Treffen mit U-178 (Kapitänleutnant Fehler, der aus Südostasien heimkehrt Radarschutzgerät braucht und bekommt)
08.04.1944 Kühlschiff Nebraska versenkt. Besatzung ging in die Boote. 1997 erfahre ich: Bis auf zwei alle gerettet.
10.04.1944 Harte Fliegerbomben. Viele Schäden. Boot bleibt aber tauchklar. Weiterfahrt Richtung Indien. Befehl nicht vor Kapstadt zu operieren. Aus Sicherheitsgründen gehen wir weit nach Süden in die Region der "Wilden 40er" Jeden Tag Stürme. Im ruhigeren Wasser östlich Südafrika Versuche Bombenschäden zu beseitigen. Es bleiben aber ein Riss im Druckkörper, Undichtigkeit des Druckschotts zum Heckraum, Ausfall der Kühlwasserpumpen an beiden Dieseln. Darum Abbruch der Operation und Kurs auf Djakarta. Unterwegs Treffen mit U-183 (Schneewind, der auch Radarschutz bekommt)
11.06.1944 Einlaufen in Djakarta. Nach Ruhezeit Weiterfahrt nach Singapore. Dort Überholung des Bootes. Undichtigkeit des Druckschotts zum Heckraum bleibt
10.12.1944 Auslaufen Djakarta
24.12.1944 Diesel-Übernahme aus U-181 nach drei Tagen beendet. Wir geben keinen Funkspruch mehr ab bis einen Tag vor Einlaufen in Bergen.
1945 Unterwegs in den Tropen noch südlich des Äquator im Atlantik meldete der Bordarzt Kien die Lungentuberkulose des Funkers Martin. Eine sofortige Maßnahme war notwendig, um die Gefahr für alle zu bannen. Unter den Bedingungen eines U-Bootes wurde ihm ein Pneumothorax angelegt, der den kranken Lungenflügel von der Atmung befreien und die Heilung möglich machen sollte.
02.04.1945 Einlaufen Bergen, kranker Martin wird ausgeschifft
04.04.1945 Weiterfahrt nach Christiansand.
08.04.1945 Auslaufen Christiansand zum Treffpunkt mit Geleit bei Läsö im Kattegat
09.04.1945 Meldung der U-Boot-Leitung: "U-843 (v. Ostasien kommend) wird 17.44 Uhr von Flugzeug angegriffen, tauchunklar

Das war die letzte Meldung von und über U-843. Das Geschehen hinter dieser Meldung ist nicht so schnell erzählt: Das Flugzeug traf das Boot mit mehreren Raketen. Es drang Wasser in den Heckraum und von da in den E-Maschinenraum. Es gelang zuerst nicht, so viel auszupumpen, wie Wasser eindrang. Daher Kurzschluss und Ausfall beider E-Maschinen. Brand der Schalttafeln wird gelöscht. Aber elektrische Steuerung vom Turm nicht mehr möglich. Handsteuerung aus dem Heckraum muss bald wegen des Wasserstandes aufgegeben werden. Heckraum geschlossen. Bilgen in der E-Maschine und im Dieselraum wieder normal.

Aber das Boot ist mit Maschinen allein nicht zu steuern,weil die Diesel keinen Rückwärtsgang haben. Um Abstand zu einem im Westen gesichteten Geleitzug nicht zu vergrößern, lasse ich beide Diesel stoppen. Obwohl das Flugzeug verschwunden ist, bleibt die Brücke abwehrbereit, da wir mit weiteren Angriffen anderer Flugzeuge rechnen. Der Leitende Ingenieur (Kptlnt Ing Steckel) kommt auf die Brücke und berichtet über die Lage im Boot. Er hält sie für stabil und schlägt vor, den Heckraum, der sicher schon viel Wasser hat, nun zu lenzen, damit Handsteuerung wieder möglich. Das geht nicht mit den Pumpen. Darum schlägt er vor, das Wasser durch das Leck mittels Druckluft auszudrücken. Ich stimme zu. Er verlässt die Brücke um seinen Plan auszuführen. Ich rufe ihm nach, er möge die Hecklastigkeit des Bootes durch Anblasen der Tauchzelle 1 beseitigen. Er quittert durch Handzeichen aus der Zentrale. Dann plötzlich sinkt das Boot sehr schnell über das Heck.

Die Brückenwache und die Bedienungen der Maschinenwaffen finden sich im Wasser wieder, werden aber bald durch das Geleit, das wir schon in Sicht hatten, herausgefischt.

Wir blieben bei der Stelle. Ich erwartete baldiges Auftauchen der Besatzung aus dem Boot oder gar des Bootes selbst. Als es dunkel war, mussten wir die Hoffnung aufgeben. Das Geleit brachte uns nach Kiel. Das ist in kurzen Worten die Geschichte des Bootes und seiner Besatzung, so wie sie ein Historiker darstellen würde.

Ich bin aber kein Historiker. Ich bin der Kommandant dieses Bootes gewesen, und war für die Besatzung verantwortlich. Seinerzeit musste ich mich mit den Tatsachen abfinden, aber seitdem steht vor mir immer die Frage, ob der Tod all der Männer hätte vermieden werden können. Ich habe bis heute keine Antwort auf die Frage gefunden. Aber auch keine Ruhe, sie nicht immer wieder zu stellen.

Vielleicht werdet ihr sagen oder denken, in dem Krieg seien doch so viele Millionen Menschen zu Tode gekommen. Was regst du dich so viele Jahre über die 42 Mann auf, die mit deinem Boot umgekommen sind. Bedenkt, viele Millionen kann man nicht erfassen, aber der eine Tote neben mir, der trifft mich.

Ein nicht geringer Trost für mich ist die Kameradschaft der Überlebenden. Mit allen habe ich brieflichen Kontakt und die meisten haben mich einzeln besucht oder sind zu Treffen wiederholt zusammen bei uns gewesen. Bei solchen Gelegenheiten erfahre ich dann auch Dinge und Vorgänge aus der gemeinsamen Zeit auf U-843, die mir bisher verborgen geblieben waren.

Neuerdings haben die Nachforschungen von Herrn Timmer aus Gieten in Holland ergeben, dass nicht nur eine Rakete geschossen worden ist, sondern eine Garbe von etwa 20 Stück, und dass wahrscheinlich auch die Tauchzelle 1 unter dem Heckraum vielleicht sogar mehrere Treffer erhalten hat. Das könnte das unvermutete Sinken erklären.

Schätzungsweise sind wir nur etwa 20 Minuten in dem kalten Wasser gewesen. Dennoch konnten wir ohne fremde Hilfe nicht auf die Schiffe klettern. Es waren ein kleiner Tanker und ein Vorpostenboot. Wir wurden erst einmal unter heiße Duschen gestellt und mit trocknen Kleidern versehen. Natürlich wurde ich zum Kommandanten auf die Brücke gerufen. Er wollte von mir wissen, ob er noch auf weitere Überlebende warten müsse. Ich rechnete fest damit, dass die Männer im Boot bei der geringen Wassertiefe, das Boot verlassen würden, wie sie es in der Ausbildung gelernt hatten.

Das altertümliche Horchgerät des Vorpostenbootes aber ließ keinerlei Geräusche vernehmen. Ich ließ daher mit einem Hammer mehrmals je fünfmal gegen die Bordwand schlagen. Dieses Signal heißt "Sofort auftauchen" und sollte denen im Boot klarmachen, dass hier oben jemand auf sie wartete. Auf das Signal kam keinerlei Antwort. Hatte ich zuerst noch gehofft, Steckel würde das Boot durch Anblasen aller Zellen und Bunker wieder auftauchen lassen, so musste ich schließlich einsehen, dass die Männer das Boot auch nicht einzeln verlassen konnten. Bei der Bergung 1958 glaubte man Anzeichen gefunden zu haben, dass das auch versucht worden war. Erst nach der Hebung erfuhr ich, dass sich das Heck in den Schlick gebohrt hatte, und darum nicht mehr befreit werden konnte. Warum auch einzelne Männer nicht auftauchten, wenigstens damit hatte ich gerechnet, weil das in der Ausbildung geübt worden war, und weil es bei der geringen Wassertiefe hätte möglich sein müssen, kann ich nicht verstehen.

Wir mussten die Suche endlich wegen der Dunkelheit schweren Herzens aufgeben.

Auf dem Weg nach Kiel wurden wir in der Nacht noch von Flugzeugen erfolglos angegriffen. Am 10. April erreichten wir ohne weitere Verluste Kiel.

Während die anderen unter Führung des Leutnant zur See Berger nach Flensburg zu unserer 33. Flottille geschickt wurden, fuhr ich zum Stab des Befehlshabers der U-Boote nach Plön. Mein Vortrag dort wurde einige Stunden verschoben, weil der Befehlshaber sich aus Berlin kommend verspätet hatte. Seine Schilderung der Fahrt, die er mehrfach wegen der Fliegerangriffe und der vielen Flüchtlingstrecks hatte unterbrechen müssen, zeigte mir zum ersten Male etwas von der fürchterlichen Lage, in der sich unser Land befand. Der Eindruck, den ich auf Grund der Radioberichte, die wir unterwegs empfangen hatten, war offenbar nicht ausreichend, um mein Bewusstsein zu erreichen. Ich war 14 Monate hinter der deutschen Wirklichkeit.

Mein Vortrag fand kaum Interesse. Ich war ja erfolglos geblieben und hatte mein Boot verloren. Nur die technische Frage, ob das Boot mit geflutetem Heckraum schwimmfähig sei, wurde gestellt und von Experten bejaht. Dann war ich entlassen.

In der Nacht blieb ich bei einem Crewkameraden und wir sahen von dort einen Bombenangriff auf Kiel und die dadurch entstandenen Brände in Elmschenhagen und Ellerbeck. Am nächsten Tag fuhr ich durch die rauchenden Trümmer der Stadtteile, ein weiterer aber immer noch nicht ausreichender Schritt zur realistischen Erfassung der Lage.

Ich machte mich nun auf den Weg nach Flensburg zu meinen Männern und zu unserer Flottille. Zu Fuß, da jetzt am Freitagabend bis Montag kein Zug mehr fuhr.

Schon an der Levensauer Brücke wurde ich von einem Geschäftsmann in seinem Auto mitgenommen. Die Fahrt durch die stockdunkle Nacht war wegen der vielen ungesicherten "Panzersperren" schwierig und wir gestatteten uns daher das Standlicht als Fahrbeleuchtung, um zu vermeiden, dass wir eine der vielen Sperren rammten. Das ging nur kurze Zeit gut. Dann bekamen wir aus der Luft Maschinengewehrfeuer. Kein Treffer. Aber nun blieben wir vorsichtiger. Ich hatte ein Stück Realität mehr erfahren.

Schließlich kamen wir aber doch heil nach Flensburg. Dort bemühte ich mich, die Angehörigen unserer gefallenen Kameraden zu benachrichtigen. Keiner der Briefe ist je angekommen. Die Westfront war an der Weser, die Russen an der Oder.

Auf meine Bitte beurlaubte mich der Flottillenchef nach Stralsund. Ich dachte dort eure Großmutter und unseren Christian bei Großmutters Eltern zu finden. Zum Glück waren sie aber zu meinen Eltern nach Hildesheim geflüchtet. Dort erlebten sie die Luftangriffe auf diese einst so schöne Stadt am 22. März 1945. Sie selbst aber blieben heil, weil meine Eltern sie in der Nähe, auf dem Hofe Lenz in Kleindüngen, untergebracht hatten.

Die Hinreise nach Stralsund ging noch mit der Eisenbahn. Allerdings wurde unser Zug wenigstens zweimal von Flugzeugen beschossen. Sie versuchten vornehmlich die Lokomotiven zu treffen. In diesem Fall gelang es ihnen nicht. Die Passagiere in den Abteilen versuchten, sich durch aufgestapeltes Gepäck zu schützen.

Die Russen standen zu dieser Zeit an der Oder und bereiteten, mit einer riesenhaften Konzentration von Artillerie den Angriff auf das restliche Deutschland und besonders auf Berlin vor. Meine einzige Orientierung war der "Wehrmachtsbericht", der aber ausreichte. In Stralsund wurde er, weil die Stromsperren einen privaten Empfang unmöglich machten, durch einen Großlautsprecher auf dem Neuen Markt verbreitet. Durch ihn erfuhr ich auch die Stärke und die Bewegungen der Russen. Es wurde mir bei einem Besuch beim Stadtkommandanten klar, dass Stralsund nicht verteidigt werden würde, obwohl offenbar zu diesem Zwecke Straßenbahnwagen auf den Straßen zwischen den Teichen als Panzersperren umgekippt waren.

Ich riet meinen Schwiegereltern, die keinesfalls flüchten wollten, das Haus nur zu verlassen, wenn unmittelbare Gefahr bestand. Da in Stralsund nicht gekämpft wurde, geschah ihnen und dem Haus nichts.

Ich hatte strikten Befehl, zur Flottille zurück zu kommen. Nachdem die Offensive über die Oder begonnen hatte, und eine Angriffsspitze in Pasewalk in die Richtung Wismar abbog, begann ich die Rückreise nach Flensburg. Da kein Zug mehr fuhr, versuchte ich es per Anhalter. Das gelang, aber nur bis Pütnitz. Dann hatte ich das Glück einen Pferdewagen zu treffen, der schon seit Monaten vor den Russen her fuhr. Die Zügel der beiden Pferdchen hielt ein Soldat. Ich habe nicht versucht das Rätsel zu lösen, sondern ich stellte meinen Koffer auf den Wagen und marschierte mit. Wir hatten beide den dringenden Wunsch vor den Russen an Wismar vorbei zu sein. Auf der Straße ein fast endloser Zug von allerlei Fahrzeugen mit Flüchtenden. In einem Dorf gab es Fliegeralarm und auch einen Tieffliegerangriff. Eine Nacht und einen Tag zottelten wir so dahin und erreichten abends Lübeck. Dort machte der Wagen einen Tag Pause. Ich aber suchte mir in der Kaserne eine Koje, um ein paar Stunden zu schlafen. Dann wollte ich schnell weiter und ging Richtung Kiel an die Stadtgrenze, um nach einer Fahrgelegenheit zu suchen. Noch in der Stadt hielt ein Auto neben mir. Der Schlag ging auf und ich wurde nur gefragt: "Wollen sie mit?" dann saß ich auch schon drin. Neben mir ein Heeresoffizier. An der Stadtgrenze gab es eine Kontrolle, die aber schnell abgetan war.

Danach erst wurde ich nach Wer und Wie gefragt. Ich hatte es mit zwei Kurieren zu tun, die aus Berlin kommend Dokumente nach Plön und Jütland bringen sollten. Und dann: "Wie, Herr Kapitänleutnant, hätten Sie denn die SS-Sperre passieren wollen, wenn wir nicht gekommen wären?" Als ich auf meine Papiere pochte, erntete ich nur ein müdes Lächeln. "Sie wären jetzt schon in einer Kompanie Richtung Ostfront unterwegs!" "Wieso SS?" Das war eine weitere Lehre für mich. Die SS hatte also Machtpositionen übernommen, die ihr überhaupt nicht zustanden. Eine nächste Lehre erhielt ich in Plön.

Die Kuriere hatten dort Post abzugeben. Der Offizier brauchte ziemlich lange und als er herauskam und wieder im Auto saß, verkündete er das Neueste: "Hitler ist tot! Dönitz ist sein Nachfolger!" "Dann geht der Krieg weiter." Kommentierte ich die Nachricht. "Falsch!" sagte er "Es sind schon Parlamentäre unterwegs, die einen Waffenstillstand vereinbaren sollen."

In der Stadt Plön trafen wir auf einen zweiten Kurier, dessen Wagen samt Fahrer verschwunden war. Eine wieder neue Erfahrung über die Verhältnisse in Deutschland. Ich hatte nun keinen Platz mehr bei den Kurieren und musste nach einem neuen Fahrzeug Ausschau halten.

Das bot sich bald in Form eines LKW mit Anhänger, der mit Frauen und Kleinkindern vollbesetzt von Berlin nach Amrum unterwegs war. Von mir versprachen sie sich rechtzeitige Warnung vor Flugzeugen. Außerdem, da ich meinen Platz auf der Deichsel zwischen Motorwagen und Anhänger hatte, musste ich das Töpfchen zwischen den beiden Fahrzeugen hin und her reichen. Glücklicherweise gab es nur einen blinden Alarm, als wir vor Neumünster das Geschwader Richthofen zum vermutlich letzten Male starten sahen. In Rendsburg trennten sich unsere Wege wieder. Wie ich dann weiter nach Flensburg gekommen bin, weiß ich nicht mehr.

In Mürwik bereitete sich alles auf das Kriegsende vor. Ich traf meine Männer auf der dänischen Seite der Förde wieder, wo sie in einem leeren Kindergarten einquartiert waren, um ein kleines Verpflegungsdepot der Flottille zu schützen. Also ein Erholungskommando. Doch gab es für uns noch einen Zwischenfall: Eine Abteilung dänischer Soldaten versuchte einen Handstreich auf uns, der aber unblutig abgewiesen wurde. Durch Eingreifen einer deutschen Offiziersstreife wurde diese Sache dann endgültig, zuletzt sogar freundschaftlich beigelegt.

Wieder bei der Flottille habe ich noch eine Zeitlang den Schiffsverkehr auf der Ostsee mit den vielen Flüchtlingstransporten aus dem Osten beobachten müssen, während fast unbemerkt die Kapitulation in Kraft trat. Die Engländer besetzten ganz Schleswig-Holstein mit Ausnahme der Stadt Flensburg. In der Marineschule Mürwik etablierte sich die "Deutsche Reichsregierung" unter Dönitz. Der rief natürlich eines Tages seine U-Bootbesatzungen, die ihre Boote in der Förde versenkt hatten, auf dem Sportplatz zusammen. In seiner Rede sagte er, die Alliierten würden ihn nun demnächst absetzen, verurteilen und hinrichten. Das sei aber ganz falsch. Wir alle, die vor ihm standen, müssten hingerichtet werden. Wir seien es, die unseren Feinden einst wieder gefährlich werden könnten! Er erinnerte sich offenbar an seine eigene Erfahrung, denn er war ja selbst U-Boot-Offizier im ersten Weltkrieg gewesen und nun 30 Jahre später ein gefährlicher Feind für England geworden. Aber auch er hat erkennen müssen, dass unser Volk militärisch nie wieder in der Lage sein würde, einen Krieg zu führen. Ob er auch begriffen hat, dass wir nach den vielen Verbrechen, die in unserem Namen geschehen waren, auch nicht das Recht dazu haben? Ich hoffe, dass auch seine Vision durch die Idee eines vereinten Europa überholt wurde.

In Flensburg war für uns nun bald nichts mehr zu tun. Außerdem waren inzwischen Auffangräume für die große Zahl der Soldaten eingerichtet worden, die entwaffnet auf ihre Entlassung in ihre Heimat warten mussten. Sie waren ja keine Kriegsgefangenen, da sie erst nach der Kapitulation entwaffnet und interniert wurden.

Für unsere Internierung war das Gebiet zwischen der Eider, dem Nord-Ostsee-Kanal und der Nordseeküste vorgesehen. Dorthin wurde auch die Besatzung von U-843 unter Führung von Leutnant zur See Berger gebracht. Ich wurde noch einige Tage in Flensburg festgehalten. Dann wurde ich mit einer "Offizierskompanie" ebenfalls und zu Fuß nach Lindenerkoog (das liegt Nordostwärts von Heide) in Marsch gesetzt. Ich gab die Führung dieser Kompanie schnell ab und übernahm eine andere, die aus Mannschaften einer ehemaligen Marinetransportkompanie bestand. Es war nicht ganz leicht diesen Männern zu erklären, dass ich keine andere Aufgabe hatte, als dafür zu sorgen, dass die Entlassung nach den Vorgaben der Engländer und bis dahin die Verpflegung aller sichergestellt war.

Zuerst wurden Bergleute für das Ruhrgebiet, Eisenbahner für die Reichsbahn und Arbeiter für die Landwirtschaft entlassen. Jeder musste aber seinen Zielort und den Betrieb genau angeben. Als Zielorte kamen nur die in Regierungsbezirken der englisch besetzten Zone in Frage. Damit hatten natürlich die Soldaten aus den von den Russen besetzten Gebieten gar keine Möglichkeit und fürchteten auch die Abschiebung dorthin. So kam nach einiger Zeit ein Soldat zu mir mit der Bitte, ihm zu helfen, dass er nicht an die Russen ausgeliefert würde. Ich kannte in Harsum bei Hildesheim den Hof Machtens, der sicher Landarbeiter brauchen konnte. Dessen Adresse gab ich ihm, bat ihn aber gleichzeitig, eine Botschaft für eure Großmutter und für meine Eltern in Hildesheim mitzunehmen. Der Bote hat ihnen das erste Lebenszeichen von mir nach dem Kriege gebracht. 16 Monate hatten sie nichts von mir bekommen, auch die Nachrichten von amtlicher Stelle hatten längst aufgehört. Auch ich wusste nicht, ob sie noch lebten. Später kam dann die Post in Gang und wir konnten uns Postkarten, später Briefe schreiben. Meine sind von der Großmutter gesammelt worden. Die Ihrigen an mich sind verloren gegangen.

Schließlich wurde ich selbst entlassen. In Heide (Holstein) wurden wir zuerst nochmal gefilzt, desinfiziert und auf Tätowierungen untersucht, die uns zur SS gehörig ausgewiesen hätten. Dann ging es, je 40 Mann in einem geschlossenen Waggon nach Wunstorf. Dort war Übernachtung auf freiem Feld. Am nächsten Morgen Weiterfahrt im Militärtruck nach Ochtersum bei Hildesheim. Als wir auf dem Weg dahin am Dammtor vorbeifuhren, konnte ich einer Frau, die mit ihrem Fahrrad am Straßenrand stand und winkte, einen Zettel in die Hand drücken, den sie auch richtig im Reichsbankgebäude, wo Großmutter wohnte, abgab. Mein Vater wusste, wo die Soldaten entlassen wurden. Auf dem großen Fabrikhof der Ziegelei Ochtersum wurden wir den deutschen Behörden übergeben.

Wir brauchten ja eine offizielle Anmeldung und ganz wichtig: die Anweisung auf Auslieferung der Verpflegungsmarken. Die Abfertigung ging langsam, aber ich sah schon jenseits der "Sperre" meinen Vater und eure Großmutter.

Sie hatten sich aufgemacht, um mich abzuholen. Großmutter war damals 24 Jahre. Ich hatte im Augenblick so viel zu tun, dass ich sie gar nicht richtig in die Arme nehmen konnte. Doch das haben wir nachgeholt.

Zu Haus bei meinen Eltern sah ich dann auch Christian, dem ich noch ganz fremd war, und er mir auch. Meine Mutter und meine Schwester Elisabeth hatten zu Hause einen Empfang vorbereitet. Nur mein Vater blieb still. Er hatte mir schon unterwegs mitgeteilt, dass mein Bruder Wolfgang mit seinem U-Boot vermisst sei. Die Nachricht war an eben diesem Tage angekommen. Ich meinte, es bestehe doch vielleicht noch Hoffnung, da das Kriegsende die Weitergabe mancher Informationen verhindert habe. Mancher Vermisste sei wieder aufgetaucht. Gerade die U-Boote wären ja auch in neutrale Häfen eingelaufen. Wir haben meiner Mutter nichts davon erzählt. Erst als unser zweiter Sohn geboren war und den Namen Wolfgang erhalten hatte, war kurz vorher die sichere Nachricht von der Versenkung von U 1302, dessen Kommandant mein Bruder war, gekommen. In der Irischen See ist er von einer kanadischen Spezialgruppe versenkt worden.

Nach meiner Heimkehr hatte ich ja auch viel zu berichten.

Aber nur zwei oder drei Tage war ich "Heimkehrer". Vor allem meine Mutter war wohl ganz der Meinung, das könne ich noch lange bleiben. Aber ich hatte Frau und Kind. Die waren als "Flüchtlinge" bei meinen Eltern zwar sicher untergekommen, aber ich musste festen Boden gewinnen in einem Beruf, der uns ernähren konnte. Alles, was ich bisher gelernt und getan hatte, war völlig ungeeignet, eine Zukunft darauf zu bauen.

Die Innenstadt Hildesheims war am 22. März 1945 durch einen "Teppich" aus Spreng- und Brandbomben zerstört worden. Die früheren Bewohner und dazu noch Flüchtlinge und Vertriebene aus den Gebieten jenseits der Oder suchten Wohnungen und Arbeitsplätze.

Meine Vorstellungen, wie ich mich am Aufbau des Landes beteiligen konnte, blieben bald am Bauen hängen. Darum begann ich eine zweijährige Lehre als Maurer. So kam es, dass unser zweiter Sohn, euer Vater oder Onkel Wolfgang, in seiner Geburtsurkunde als Beruf des Vaters "Maurerlehrling" stehen hat.

Noch in der Zeit, als wir keine Hoffnung hatten, wir könnten in absehbarer Zukunft zu dem bisher üblichen Wohnhausbau zurückfinden, versuchte ich, mir Kenntnisse im Lehmbau anzueignen. Damit hoffte ich, den damals herrschenden totalen Materialmangel wenigstens teilweise überwinden zu können. Die politische Entwicklung hat einen Versuch auf diesem Wege überflüssig gemacht.

Aber mein Vater und ich gründeten mit noch einigen Leuten, die sich Gedanken machten, wie man den katastrophalen Wohnungsmangel in Hildesheim überwinden könnte, eine Siedlungsgenossenschaft. Wir wollten versuchen, Familien Eigenheime oder Wohnungen zu beschaffen. Dieses Ziel hofften wir dann zu erreichen, wenn die späteren Bewohner beim Bau der Häuser selbst mitarbeiten konnten.

Noch bevor ich das Examen der Bauschule bestanden hatte, übernahm ich den Posten des Bauleiters. Das Bauen begann aber erst nach der Währungsreform. Wie sah das praktisch aus?

Wir machten zunächst mit einem Architekten den Bauplan und prüften dessen Durchführbarkeit hinsichtlich Grundstück und Baugenehmigung. Dann wurde das Projekt allen Mitgliedern der Genossenschaft bekanntgemacht. Mit den Interessierten machten wir eine individuelle Vereinbarung. Darin wurde festgelegt, welche Selbsthilfeleistungen jeder Einzelne bringen konnte und wollte.

Natürlich konnte niemand ein ganzes Haus allein bauen. Aber die meisten hatten doch Familienangehörige oder Freunde, die helfen wollten. Die ersten neun Häuser hatten je zwei Einliegerwohnungen, deren zukünftige Mieter auch gerne mithalfen, wenn sie auf diese Weise zu einer Wohnung kommen konnten. Bei allen Häusern blieben Arbeiten übrig, die nicht von den Bauherren mit ihren Helfern allein durchgeführt werden konnten. Dafür mussten wir auf bezahlte Kräfte zurückgreifen. Das Geld dafür kam aus Hypotheken der Sparkassen und aus dem Haushalt des Landes Niedersachsen. Der gab für jede Neubauwohnung eine zweite Hypothek von DM 6000 zu geringen Zinsen und Tilgung, wenn die einzelne Wohnung nicht mehr als 60 Quadratmeter groß war. Dieses Geld wurde für Material und für Arbeiten ausgegeben, die an Fachleute vergeben werden mussten.

Nun wollt Ihr sicher auch wissen, welche Arbeiten in der Selbsthilfe geleistet wurden. Das fing an bei der Ausschachtung der Baugrube mit Spaten und Schaufeln, der Verlegung der Abwasserleitungen und der Fundamente. Dazu alle aufgehenden Maurerarbeiten mit Hohlblocksteinen. Der Beton für die Decken wurde von den Bauherren und -frauen mit Harke und Schaufeln selbst gemischt und selbst auch für die oberste Decke auf dem Buckel und über eine Holzleiter zu der Stelle gebracht, wo er gebraucht wurde. Die Schalung für die Decken wurde auch in Selbsthilfe eingebaut. Die Zimmerarbeiten des Dachstuhls wurde vergeben, aber die Dachlatten nagelten Selbsthilfekräfte fest und die legten auch die Dachziegel, außer denen auf dem First und den Dachkanten. Elektroinstallation, wie auch die Schreinerarbeiten an Fenstern, Treppen und Türen wurden fast alle vergeben. Ebenso die Sanitärinstallation, die auf das Nötigste reduziert wurde. Vielleicht könnt ihr euch jetzt ein Bild von Selbsthilfe machen. Es war eine Antwort auf die Situation der Nachkriegszeit.

Ich konnte den Bau einer erfreulichen Anzahl von Häusern in Dörfern um Hildesheim durchführen.

In der Großstadt Hannover war diese Art der Selbsthilfe nicht gut möglich. Bevor ich davon berichten kann, muss ich erzählen, dass ich von den Bischöfen von Münster, Osnabrück und Hildesheim mit der Leitung des Ansgarwerkes beauftragt wurde.

Meine Aufgabe war es, die Katholischen Siedlungs- und Wohnungsbauunternehmen zu unterstützen. Mein Büro war ein Schreibtisch bei der Caritas.

In Hannover gab es eine eigene Bestrebung, Wohnungen für Familien zu bauen. Die dafür nötige Unterstützung durch die Stadtsparkasse zu bekommen, war eine Aufgabe für mich. Dazu bin ich von Gemeinde zu Gemeinde gegangen. In Gemeindeversammlungen habe ich die Leute dazu gebracht, für ihr weniges Geld Sparbücher anzulegen. Die Stadtsparkasse hatte mir für diese Aktion besondere Antragsformulare gegeben. Alles Geld, was auf diese Weise in der Sparkasse zusammenkam, wurde als Hypotheken für den Bau von Mietwohnungen für Gemeindemitglieder eingesetzt. Auf diese Weise wurde die Unterstützung durch das Land ermöglicht. Die Sache wurde ein voller Erfolg und erhielt viel Zustimmung. Ähnliche Aktionen in Hildesheim und Braunschweig wurden vorzeitig eingestellt, als ich dort aufhören musste und nach Kassel ging.

Dieser Ortswechsel wurde notwendig, weil ich von dem Geschäftsführer einer Siedlungsgesellschaft in Osnabrück, der Unterschlagung bezichtigt worden war. Ich war bei der Gesellschaft als Zweigstellenleiter für die Regierungsbezirke Hannover, Braunschweig und Hildesheim tätig.

In Kassel übernahm ich als Zweigstellenleiter einer Frankfurter Siedlungsgesellschaft eine fertige Bauplanung in Abterode bei Eschwege, die auch mit Einsatz an Selbsthilfe gebaut werden sollte. Der Beginn des Baues war schwierig, weil die Gemeinde keinerlei Anstalten machte den Bau ihrerseits zu fördern. So kam es, dass wir die Abwässer der sechs Häuser ungeklärt in einen Bach leiten mussten. Ich bin sicher, dass dieser Mangel vor Bezug der Häuser beseitigt worden ist. Die kleine Erpressung durch entstandene Realitäten scheint mir verzeihlich. Trotz großer Bemühungen konnte ich im Umfeld von Kassel nicht einen Quadratmeter Bauland mehr ausfindig machen. Die "Neue Heimat", unterstützt durch die Bürgermeister, nahm mir alles Bauland, das mir angeboten wurde, weg. Ich gab meinen Posten als Leiter der Zweigstelle auf. Er wurde nicht wieder besetzt.

Ehe ich aber das Thema Bauen ganz verlasse, möchte ich noch an den "Bauorden" erinnern. Werenfried van Straaten hieß ein belgischer Pater, der den Spitznamen "Speckpater" führte, weil er in seiner Heimat Bauern dazu gebracht hatte, ein Schwein mehr zu füttern, zu schlachten und ihm zu schenken. Mit den Würsten und dem Speck wollte er die Geistlichen, die mit den Flüchtlingen vom Osten in die britische Zone gekommen waren, unterstützen. Den lernte ich in Hannover kennen, wo er einen Vortrag vor wirtschaftlich erfolgreichen Zuhörern hielt.

Am Tag drauf standen wir beide in einem früheren Gefangenenlager, das jetzt voller Flüchtlinge war. Wir waren beide erschüttert. Mir viel plötzlich ein: In früheren Zeiten hätte sich in der Kirche ein Orden gebildet, der den Armen Häuser gebaut hätte. Fast genau ein Jahr später trafen wir uns wieder. Er hatte eben eine Schar von 20 Jungen Männern aus Belgien zum Einsatz nach Westphalen gebracht. Nun wollte er von mir einen anderen Platz für den Bauorden genannt wissen. Ich dachte sofort an Friedland. So kam es dort bald zum Baubeginn von fünf Häusern. In der Einsatzzeit der damals nur aus Belgiern bestehenden Gruppe war Bundestagswahlkampf in Deutschland. Adenauer kam nach Hildesheim. Die jungen Belgier wurden mit einem Bus nach Hildesheim gebracht. Sie kletterten in ihrem weißen Anzügen auf das Baugerüst, das vor dem völlig zerstörten Rathaus aufgerichtet war. Adenauer ergriff sofort die Chance und nahm sie in seine Rede auf.

Der Speckpater hat immer wieder für neue Einsätze des Bauordens gesorgt. Christian, Wolfgang und Thomas haben später auch im Bauorden mitgemacht.

Während dieser Lehrzeit griff der Krieg noch einmal nach mir: Ich wurde aufgefordert, mich einem englischen Kriegsverbrechertribunal in Hamburg zu stellen. Ich war nicht allein dort. Ich denke, etwa 20 ehemalige U-Bootkommandanten und -ingenieure wurden im Konzentrationslager Neuengamme zusammengeholt. So lernte ich aus nächster Nähe ein "Konzentrationslager" kennen, wovon ich nach meiner Heimkehr immer neue Gräuel erfuhr. Jetzt waren darin allerdings ehemalige Ortsbauernführer und andere Mitglieder der NS-Parteiorganisation festgehalten. Wir waren dort nur, weil es in Hamburg keine andere Unterbringung für uns gab. Wie uns ausdrücklich versichert wurde, waren wir keine Gefangenen. Einzeln wurden wir in Hamburg einem Tribunal vorgestellt, das sich bemühte, gerecht zu urteilen, obwohl Ankläger und Verteidiger eine Person war, ein Jude übrigens, wie er uns selbst erzählte.

Die Verhandlungssprache war englisch. Es gab eine Dolmetscherin. Als die bei dem Wort "bricklayer" Schwierigkeiten hatte und ich ihr mit dem Wort "Maurer" vorgriff, wurde ich fairly ermahnt, ihre Übersetzung abzuwarten. Die Rückkehr nach Hildesheim habe ich auf der Kupplung zwischen zwei Eisenbahnwagen überstanden.

Während meiner Lehre haben wir eigentlich nur ausgebessert. Zum Beispiel Schornsteinköpfe, die durch nahe Detonationen baufällig geworden waren, Mauern, die aus gleichem Grunde zusammen gebrochen waren und andere Flickarbeiten. Für den Domküster machten wir aus einem Ziegenstall eine Wohnung.

Im Anschluss an die Lehre konnte ich mit Hilfe meines Vaters als "Studierender" auf die Bauschule in Hildesheim gehen, die ich nach fünf Semestern als Bauingenieur verließ. Ein Mitstudent war Kurt Dunkelberg, den ihr alle von unserer Goldenen Hochzeit her kennt. Er brachte mir eine Zeichnung der Bauschule mit, die jetzt in meinem Zimmer hängt. 1994 ist er leider schon gestorben.

Mein Vater starb leider viel zu früh am 12.September 1949. Großmutter hatte in ihm einen verlässlichen Freund gefunden, als sie vor den Russen mit Christian nach Hildesheim kam. Er war ihr in der für sie fremden Umgebung einziger Trost und Schutz. Immerhin hat er noch erlebt, dass wir in unsere erste eigene Wohnung in einer Straße, die "Kleine Venedig" heißt, ziehen konnten. Er war außer mir der Einzige, der eurer Großmutter zutraute, eine Familie versorgen zu können.

Ich hatte mitgeholfen eine Ruine wieder aufzubauen. Die Wohnung war zwar klein und alles andere als gemütlich. Aber sie gehörte uns. Von dort aus beendete ich das Studium auf der Bauschule. Meine Zeichnungen musste ich bei Kerzenlicht machen, was zu Ergebnissen führte, die den Dozenten überhaupt nicht gefielen. Wir sind dort schon eingezogen als die Wohnung noch nicht fertig war. Aber Großmutter hatte Grund zu der Annahme, dass wir betrogen wurden und die Wohnung gar nicht bekommen würden, weil andere Leute der Hausbesitzerin Geld geboten hatten.

So zogen wir Hals über Kopf in die Wohnung, die noch keine Türen und auch kein Klo hatte. Unsere Hausbesetzung hatte Erfolg, denn nach heftigen Debatten, blieben wir schließlich drin und das, was noch fehlte, kam nach und nach auch. Eure Großmutter hatte in dieser Wohnung zum ersten Male nach acht Jahren unserer Ehe einen eigenen Hausstand. In der Zeit wurde 1951 unser Thomas geboren.

Die Bautätigkeit der Siedlungsgenossenschaft war bald so rege, dass ich ein Motorrad brauchte und bekam, um die verschiedenen Baustellen richtig betreuen zu können. Nach zwei oder drei Jahren übernahm ich die Leitung des "Ansgarwerkes", einer Einrichtung des Siedlungsdienstes der Diözesen Hildesheim, Osnabrück und Münster für ganz Niedersachsen. Nun wurde ein Volkswagen notwendig.

Dazu kam nach einiger Zeit auch noch in Hannover der Aufbau und die Leitung einer Zweigstelle des Stephanswerkes Osnabrück. Damit wurde die praktische Bautätigkeit und dessen Vorbereitung wieder Schwerpunkt meiner Tätigkeit.

Eines Tages erzählte mir Großmutter, als ich nach Hause kam, eine tolle Geschichte: "Eine Dame war hier und hat uns eine Wohnung in ihrem Hause angeboten!" Das war eigentlich schon toll genug, denn inzwischen war Christian schon in der Schule, Wolfgang auch bald so alt und Thomas schon zwei. Als ich auf einem Stuhl saß, erfuhr ich dann, was die Dame gesagt hatte. Sie habe eine Wohnung für uns, weil das Wohnungsamt ihr erlaubt hatte, sie dürfe sich selbst einen Mieter für die Wohnung aussuchen. Irgendjemand hatte ihr gesagt, wir würden uns niemals streiten

Das Wohnungsamt war eine Behörde der Stadt, die Wohnungen verwaltete und im Einzelfall darüber entschied, wer in welcher Wohnung wohnen durfte.

Nach und nach hatte Großmutter herausgefunden, warum das Wohnungsamt diesmal so großzügig war: In der Wohnung hatte neben zwei anderen eine dritte Familie gewohnt, in der es Streit gegeben und der Mann seine Frau in der Speisekammer mit dem Brotmesser erstochen hatte. Dann hatte er einen Radioapparat in einen Teppich gewickelt und das Haus verlassen. Man hatte ihn später ertrunken in der Innerste gefunden. Die beiden Töchter wohnten mit der Oma noch in der Wohnung.

In diesem Fall wurde also keine "Besetzung" nötig, aber es gab dennoch genug Aufregung: Ein Ringtausch musste organisiert werden, weil in der Wohnung außer den Resten der Unglücksfamilie noch weitere Leute wohnten. Alle Räume waren verwahrlost. Die Fenster waren seit Jahren nicht geöffnet gewesen und ein Mieter hatte unter seinem Bett Küken aufgezogen. Eine alte Dame mussten wir übernehmen. Sie bewahrte ihre Kohlenvorräte in der Badewanne auf. Aber wir bekamen alles hin und es dauerte nicht lange, da wurde Matthias geboren.

Wenig später allerdings musste ich einen schweren beruflichen Rückschlag hinnehmen. Der versoffene Geschäftsführer des Stephanswerkes, verleumdete mich so, dass ich meinen Posten nicht halten konnte. Meine Rehabilitation kam erst ein Jahr später. Glücklicherweise griff ein mir bekannter Geschäftsführer einer anderen Gesellschaft ein und beauftragte mich mit dem Aufbau und der Leitung seiner Zweigstelle in Kassel.

Das war 1955. Zunächst wohnte und arbeitete ich sehr provisorisch im Kolpinghaus und sah Großmutter und die Kinder nur am Wochenende. Um diesen Zustand zu ändern, kauften wir ein Haus in Wilhelmshausen an der Fulda. Übrigens praktisch ohne Geld, sondern fast vollständig fremdfinanziert. Es begann unsere "alternative Zeit", denn der große Garten, den wir nun hatten, machte es möglich, dass wir außer Gemüse und Obst auch Schafe, Hühner, Hähnchen, Enten, Gänse und Puten aufzogen.

Der Wohnungsbau hatte sich so gewaltig entwickelt, dass ich glaubte, die durch den Krieg obdachlos gewordenen Menschen würden bald wieder normal wohnen können. Bei der so geringer werdenden Nachfrage würden kleine Gesellschaften wie unsere durch mächtige Gesellschaften bald erdrückt werden. Das ließ bei mir Überlegungen nach beruflicher Veränderung in Richtung Kunststoffindustrie entstehen.

Zuvor aber versuchte ich noch etwas anderes: Ich kam auf die Idee, mich um den Wohnungsbau für Soldaten zu bemühen und meine Gesellschaft dafür anzubieten. Darum fuhr ich nach Bonn zum Militärbischofsamt in Bonn und trug dort den Gedanken vor, den Soldaten die Möglichkeit zu bieten, Wohnungseigentum zu erwerben. Der Herr Generalvikar wollte nach meinem Vortrag zuerst wissen, ob ich Offizier gewesen sei, und als ich das bejahte, ob ich mich schon zur Wiedereinstellung in die Marine gemeldet hätte. Als ich das verneinte, erklärte er strikt, dann könne er nichts für mich tun, denn er wolle sich nicht in den Verdacht bringen, er versuche jemanden in die Bundeswehr einzuschleusen, der nicht die Überprüfung durch das Einstellungsverfahren durchlaufen habe.

Die Antwort reizte mich so sehr, dass ich mich sofort diesem Verfahren stellte. Ich habe aber dabei kein Hehl von meinen Absichten gemacht. Doch gerade deshalb wurde ich sofort akzeptiert. Leider gab mir die Wirklichkeit der Bundeswehr später nur wenig Möglichkeit im Sinne meines Planes zu wirken. Es gelang jedoch, gewisse Vorbehalte der Bewilligungsrichtlinien für Landes- oder Bundesmittel so zu verändern, so dass Soldaten sie beantragen und erhalten konnten.

Ehe daraus aber etwas Konkretes werden konnte, und während ich dem Ganzen gegenüber noch unentschlossen war, begegnete mir auf der abendlichen Heimfahrt nach Wilhelmshausen Herr Erhardt, der in Singapur der Stützpunktleiter gewesen war. Er hatte sich bei der Marine beworben, weil er eine neue "Gorch Fock" bauen und kommandieren wollte. Ich sah keinen Sinn darin, wieder U-Boot zu fahren, aber Erhard machte mich glauben, es sei sehr wichtig, dass möglichst die richtigen Leute in die neue Marine kämen. Mich hielt er offenbar dafür.

Ich gab schließlich meine Zustimmung zu meinem Eintritt in die Marine, nachdem ich mit meiner Gesellschaft in Frankfurt die notwendigen Regelungen getroffen hatte. Zum 15. Mai 1957 wurde ich nach Wilhelmshaven einberufen. Wir wohnten aber noch immer in Wilhelmshausen und ich musste an jedem Wochenende Freitags so schnell wie möglich dorthin und am Sonntagabend wieder zurückfahren. Wir planten den Umzug nach Wilhelmshaven umso mehr, als wir uns auf die Ankunft eines fünften Kindes freuen durften. Es gab auch eine Wohnung, die zwar noch von Engländern bewohnt war, aber frei werden sollte. Sogar ein Grundstück für ein Eigenheim war in Aussicht.

Da kam meine Versetzung nach Bonn ans Verteidigungsministerium. Beim Aufbau einer Logistik für die Bundeswehr im Rahmen der Nato sollte ich dort mitarbeiten. Also wieder Wohnungssuche. Diesmal hatte ich Glück dabei in Brühl. Und genau zu Weiberfastnacht, "als der Möbelwagen schon vor der Tür stand", wurden am 13.2.58 unsere Zwillinge, MARTIN und MICHAEL, geboren.

Nachdem wir in Brühl eingezogen waren, fuhr ich mit der Bahn nach Kassel, wo Großmutter mit den kleinen Kerlchen auf mich wartete. Die beiden Kerlchen lagen gut in Watte verpackt in einem Wäschekorb, denn es war immerhin noch Februar. Mit dem Taxi fuhren wir, bis an den Zug nach Köln (so etwas ging damals in Kassel) und konnten sie in ein fast leeres Abteil bringen. Als wir längst unterwegs waren, kam der Kontrolleur und verlangte, der Korb müsse in den Gepäckwagen. Ich zeigte ihm die Babys. Sie konnten seinen Sinn nicht ändern. Großmutter verlangte, nun auch im Gepäckwagen fahren zu können. Das aber wollte der Schaffner auch nicht: Es sei verboten. Ihr hättet eure Großmutter sehen sollen: "Die Kinder allein im Gepäckwagen? Niemals!" Glücklicherweise schaltete sich da der einzige Mitreisende im Abteil ein und sagte, ihn störe der Korb nicht. Das entwaffnete den Schaffner und er zog brummend ab.

In Köln stiegen wir um in unseren VW Käfer, der damals noch vor dem Bahnhof stehen durfte. Auf uns wartete in unserer Wohnung, die eure Großmutter noch gar nicht gesehen hatte, auch eure Urgroßmutter Bratsch, die jedes Jahr für eine begrenzte Zeit aus der "DDR" kommen durfte.

Stralsund lag in der damaligen Deutschen Demokratschen Republik (DDR), die die Grenzen fest geschlossen hielt und Reisegenehmigungen nur bei alten Leuten und bei besonderen Gründen erteilte.

Auch unsere Nachbarin aus Wilhelmshausen, war zur Hilfe beim Umzug mitgekommen. Christian hat damals seine ersten Erfahrungen im Umziehen gesammelt: Er machte die Reise nach Brühl im Umzugswagen.

In die Zeit in Brühl fällt die Hebung von U 843. Ich hatte die Möglichkeit das Boot zu betreten und sah die Skelette meiner Kameraden, die dort lagen, wo sie gestorben waren. Jetzt ruhen sie alle in einem Grab auf dem Friedhof in Göteborg. Aber sie führen mir noch heute das Ereignis des Unterganges so eindringlich vor Augen, dass ich immer wieder daran denken muss. In Brühl waren auch viele der Überlebenden von U-843 bei uns. Wir haben gemeinsam in der Wochenschau im Kino die Aufnahmen von der Hebung angesehen.

Im gleichen Aufgabengebiet wie in Bonn habe ich dann auch in Kiel und dann vier Jahre später wieder im Ministerium gedient. Mein Verantwortungsbereich erforderte in Kiel, wie in Bonn viele Dienstreisen nach Dänemark, Norwegen, England und Schottland.

Den Umzug von Brühl nach Kiel machte die Familie ohne mich, weil mein Versetzungstermin erst 14 Tage später war. Die Wohnung, die der Bundesvermögensverwaltung gehörte, sollte sofort bezogen werden. Großmutter musste also allein nach Kiel fahren. Dabei gab es allerhand Schwierigkeiten. Gleich als sie mit sechs Kindern die reservierten Hotelzimmer beziehen wollte, weigerte sich der Hotelier zuerst sie aufzunehmen. Dann regnete es als der Möbelwagen kam und die Straße war aufgerissen, sodass das Ausladen viel länger dauerte als geplant. Die Folge waren allerhand Schäden an den Möbeln und eine völlig verdreckte Wohnung. Ein Glück war, dass die Familie Hoffmann, die in der Wohnung unter uns wohnte, auch sechs Kinder hatte und darum Großmutters Nöte ohne Erklärung verstand und half. Die Freundschaft mit Hoffmanns bleibt bis heute erhalten.

Wir haben uns in Kiel recht wohl gefühlt. Die Stadt, der Hafen, der Kanal, die Küste, das nahe Dänemark, die Kriegsschiffe, die Kieler Woche und vieles andere gefielen uns.

Großmutter traf einen Freund aus ihrer Mädchenzeit wieder: Dr. Wentrup, der jetzt Stabsarzt bei der Marine in Holtenau war. Sein ältester Sohn war in Christians Klasse. Die beiden hatten eine gemeinsame Fahrt vor, daher kannte Christian die Eltern. Als wir am Sonntag darauf in die Kirche gingen, zeigte er sie uns und Großmutter erkannte einen der Ärzte wieder, die sie in Stralsund kennen gelernt hatte. Es gab ein fröhliches Wiedersehen und eine gute Freundschaft, die noch heute, nach dem Tode der Eltern, von und mit der Tochter Ingrid gepflegt wird. Noch einen anderen Tanzpartner aus der Mädchenzeit der Großmutter fanden wir in Kiel: Dr. Fischbach, der unser Hausarzt wurde.

Ein weiterer Freund aus der Kieler Zeit muss jetzt genannt werden: Richard Wünsch. Wir übernahmen ihn als Untermieter mit unserer Wohnung. Er studierte alte Sprachen an der Uni, war aber nicht zu Hause, als wir einzogen, sondern fuhr auf einem italienischen Kreuzfahrtschiff im Mittelmeer als Kunstführer in den Häfen, die von dem Schiff angelaufen wurden. Sehr bald hatte er unseren Respekt und unsere Freundschaft erworben und so kam es, dass er während unserer ganzen Kieler Zeit bei uns wohnte und als Gegenleistung mit Christian und Wolfgang Latein paukte. In seinem Studium hat er nie ein Examen gemacht. Dafür konnte er sich bei der Vorbereitung und Durchführung von Kreuzfahrten so unentbehrlich machen, dass er zum Cruising-Direktor bei einer großen Reisegesellschaft aufstieg. So lernte er die ganze Welt kennen. Außer Meckenheim. Dahin kam er erst zu unserer Goldenen Hochzeit, und war ganz fasziniert von der Entwicklung eurer Väter.

Außer "Wünsch" beherbergten wir eine Studentin, die "Föh", in einem winzigen Zimmer. Sie wohnte eigentlich bei Ihren Eltern jenseits der Förde. Das Zimmerchen bei uns sparte ihr täglich lange Anfahrten zum Studium.

Beide Untermieter machten uns den Abschied aus Kiel ein bisschen schwer. Sie begleiteten unser Auto bis zur Stadtgrenze und winkten uns zusammen unter einem großen Regenschirm stehend ab.

In Kiel ging als Erster Christian aus dem Hause. Er hatte das Gymnasium aufgegeben und war auf der Werft in ein Praktikum gegangen, mit dem er später ein Ingenieurstudium beginnen wollte. Danach forderte ihn die Bundeswehr. Wir haben ihn allesamt zur Kaserne in Flensburg gebracht. Weil er sich auf zwei Jahre verpflichtete, bekam er ein Gehalt, das er nach seiner Entlassung zu unserer Überraschung verwendete, in Neuss das Abitur nachzuholen.

Der Umzug von Kiel nach Meckenheim war für die Großmutter noch viel aufreibender als der nach Kiel.

Wir hatten die besonders günstige Gelegenheit genutzt und ein fast fertiges Haus gekauft. Das wollten wir vor Beginn des neuen Schuljahres beziehen. Der lag aber vier Wochen vor meinem Versetzungtermin. Also konnte ich die Familie nur auf der Reise begleiten, dann blieb die Großmutter wieder allein, während in unserer leeren Wohnung in Kiel für mich ein Feldbett blieb. Es war uns vorher versichert worden, dass unser Haus ganz fertig sei. Nur die Fenster seien nicht geputzt. In Wirklichkeit fehlte der Fußbodenbelag in Flur und Küche und die Toiletten waren auch noch nicht fertig. Dazu kam, dass ein Unwetter die eben fertig gestellte Uhlandstraße unbefahrbar gemacht hatte. Es dauerte natürlich eine beträchtliche Zeit bis die Möbelwagen über die versunkene Straße und durch die noch unfertigen Gärten bis vor unser Haus gezogen waren. Großmutter musste ohne Unterstützung mit all dem fertig werden. Sie ist damit fertig geworden, wenn sie auch noch in der Erinnerung wütend wird wegen der Zumutungen der damals verantwortlichen Bauleiter. Als ich dann vier Wochen später auch ankam, war alles in Ordnung.

Dienstlich war ich jetzt auf der Hardthöhe. Wolfgang und Thomas gingen in Duisdorf auf das Gymnasium. Später auch Matthias und noch später die Zwillinge nach Röttgen. Ich übernahm jeden Tag den Hintransport zu den Schulen. Als Wolfgang 18 war und den Führerschein hatte, übernahm der die Transporte. Er lieferte mich an der Hardthöhe ab. Zurück kam ich mit der Bahn.

Es ist jetzt an der Zeit, auch noch von den Ferienreisen zu berichten, weil sie, wie ich meine, ein wichtiger Teil der Entwicklung unserer Familie gewesen sind.

1959 Als unsere Zwillinge ein Jahr alt waren, fuhren wir zum ersten Mal in Ferien! Nach Cadsand in Holland an der Nordsee. Eine Praktikantin von 16 Jahren, die wir damals hatten, nahmen wir auch mit. Bei allen Ferienreisen waren wir immer sehr auf Einfachheit und Sparsamkeit bedacht. So zogen wir fast blindlings in einen kleinen Ort an der Küste, der ein billiges Angebot gemacht hatte. Das Haus, in dem wir landeten war alt und viel zu klein und ausgestattet mit Möbeln und Geschirr, die aus vielen Auktionen zusammen gesucht schienen. Eine Wanduhr gab es auch, die schlug 13. Außerdem mussten wir nach der Halbzeit umziehen und kamen nun im Nachbarort in einen ausgedienten Straßenbahnwagen. Überall war der Strand nahe und schön. Die Bilder aus der Zeit zeigen allgemeine Freude. Wir bemühten uns auch gleich um eine Unterkunft für das nächste Jahr, die nun ein bisschen besser war. Allerdings hatten wir dann auch den Sohn von Großmutters Schulfreundin Irmi mit. Deshalb mussten Zelte um das Haus gebaut werden.

In Kiel haben wir das erste Jahr die Ferien am neuen Wohnort erlebt. Aber 1962 wünschten sich unsere älteren Söhne Berge. In Loich in Niederösterreich fanden wir ein Unterkommen nicht weit von Mariazell. Eine Kirche mit Pfarrhaus und eine Gastwirtschaft bildeten den Ort. Die Unterkunft war sehr einfach, aber die Wirtin kochte wunderbar. Die Landschaft bot viele Wanderziele, die unsere Großen auch gut nutzten. Der Aktionsradius der Großmutter war durch die Zwillinge sehr eingeschränkt, diese selbst aber tobten die steilsten Wiesenhänge hinunter. Großmutter ging gerne auch Werktags in die Messe. Das musste sie aber einstellen, weil der Pfarrer sie am Sonntag der Gemeinde als Muster vorhielt und als Kontrast gegen die Wiener, die allesamt seiner Meinung nach nichts taugten. Wir machten dem Pfarrer einen Besuch und baten ihn, derlei Lobsprüche zu lassen. Wir blieben Musterchristen in seinen Augen zumal er noch erfuhr, dass ich bei der Marine war. Seefahrer waren erst recht Mustermenschen. Er schenkte mir beim Abschied ein Buch. "Flagge Rotweißrot", darin die Geschichte der österreichischen Marine bis zum ersten Weltkrieg dargestellt war. Ich habe das Buch leider nicht mehr, vielleicht liegt es bei einem eurer Väter im Bücherschrank. Es enthält mancherlei wunderliche Sachen.

Dem Wunsch eurer Väter nach Bergen konnten wir dort gut entsprechen. Wir machten mehrere Bergtouren, eine sogar über die Schneegrenze. In einer Hütte wunderten wir uns sehr über die Naziansichten des Wirtes. Und wir wunderten uns über die Abgeschiedenheit, ja fast Armseligkeit vieler Bauernhöfe.

Diese Reise war, wenn ich mich richtig erinnere, die letzte, bei der alle eure Väter dabei waren. Christian ging noch in diesem Sommer zum Bauorden, Wolfgang und Thomas schlossen sich schon bald an.

Der Bauorden ist eine Organisation die der flämische Ordensmann Werenfried van Straaten gegründet hat. Er rief junge Leute aus Belgien, Holland und Deutschland zu freiwilligem Dienst zusammen, um mit ihren Kräften Bauvorhaben zu unterstützen.

In Viechtag im Bayerischen Wald war aber Thomas noch dabei. Weil uns die zugesagte Küchenbenutzung nicht gehalten wurde, kochte Großmutter eben selber. Auf einem Spirituskocher und in einem Gänsebräter, den wir in der nächsten Stadt kaufen konnten und den Großmutter immer noch benutzt, wenn sie viele Gäste hat. Bei dem herrlichen Wetter brauchten wir keine Küche. Die Wälder rings umher haben durch Pilze und Beeren den Küchenzettel erheblich erweitert.

Auch an der Jammerbucht im Norden Dänemarks war Thomas noch mit. Die Kieler Woche brachte uns zwei dänische Offiziere ins Haus. Die besorgten uns dort ein Ferienhaus. Kennzeichen für diese Ferien war der Wind, der fast jeden Tag so stark war, dass unsere Jüngsten nicht einmal durch die Dünen an den Strand gehen konnten. Nur ein oder zwei Tage war es still, dafür hatten wir dann so viele Fliegen, dass wir uns kaum bergen konnten. Nicht weit von uns wohnte ein Fischer, um dessen willen eine Prinzessin auf alle ihre Rechte verzichtet hatte. Sie vertrieb jetzt mit ihm als seine Frau Hummer nach Deutschland und Dänemark.

Als wir erfuhren, dass eine katholische Jugendgruppe aus Deutschland in Hirtshals den Sonntag feierte, fuhren wir auch dorthin. Die Gemeinde saß auf Stühlen. Großmutter in einem Dirndl mit Schürze. Unsere Zwillinge hatten Langeweile und banden die Schürzenbänder an ihrem Stuhl fest, so dass sie beim Aufstehen den Stuhl mitnahm und umwarf.

Von Kiel aus waren Großmutter und ich einmal allein in Kopenhagen. Dort war sie ein Jahr im Kriegseinsatz gewesen und wollte nun die Stadt gern einmal bei Licht sehen. Sie hatte sie ja nur verdunkelt erlebt.

Natürlich hatten wir einige Sachen gekauft, die wir nicht gerne dem Zoll zeigen wollten. Es regnete in Strömen als wir auf Fehmarn am Zöllner vorbei mussten. Der stand in der Tür seines Wachhäuschens. Ich hielt ihm ohne auszusteigen ein Paket Kaffee vor die Augen. Er aber fragte durch den Regen, ob wir denn noch einmal Pause machten, bis wir in Kiel wären. Ich hielt das für so absurd, dass ich verneinte. Dann müsse ich den Kaffee verzollen. Ich verstand und wir fuhren weiter.

Natürlich sind wir auch von Meckenheim aus in die Ferien gefahren. Nach Burgund, wo wir in einer Kate dicht an einem kleinen See wohnten. Von dort machten wir Fahrten zu vielen schönen Stellen, wie Taizé, Cluny, Baune, Autune und Veselay.

Eine besondere Attraktion war aber der "lac" fast vor der Tür, in dem die Jungs gerne tobten. Matthias brachten wir nach zwei Wochen in Basel zum Zug, damit er nach Münsterschwarzach fahren konnte. Er wollte gerne beim Goldschmied arbeiten. Das Ergebnis war ein schöner Schmuck, den die Großmutter gerne trägt.

In einem Sommer waren wir mit drei eigenen Kindern und drei fremden in Auffach über Wörgl in Tirol. Wanderungen und Spiel im Bach waren die Hauptattraktionen. Einer von den Jungs, die wir mitgenommen hatten, verletzte sich an einem Stacheldraht und musste in Wörgl behandelt werden. Die Mutter erhielt die Rechnung ehe wir wieder zu Haus waren und war sehr überrascht ihren Sohn munter wieder zu sehen. Sie hatte nicht gemerkt, dass die Rechnung in Schilling geschrieben war. Wir erlebten dort auch ein Hagelwetter mit Hagel so dick, dass ich nur drei in der Hand halten konnte. Das Schiebedach im VW-Bus war zerschlagen.

Zweimal ist auch Edgar mit uns gefahren. Einmal als wir ihn noch kaum kannten, nach Mariastein in Tirol. Dort merkten wir, dass er mit 1o Jahren selbst einfachste Additionen nicht rechnen konnte, dass er sich von uns immer belogen glaubte und dass er sehr jähzornig sein konnte. Auf der Hinfahrt haben wir Christian in Pullach besucht und für einen Tag samt zwei Freunden mitgenommen.

Im nächsten Mal fuhren wir nach Italien und wohnten in der Villa San Pastore der Jesuiten bei Palästrina, Latium. Ohne unser Wollen machten wir auf der Hinreise in Mestre vor Venedig Station. Nun einmal da, wollten wir auch Venedig sehen und fuhren über die einzige Zufahrt zur Piazzale Roma. Dort mussten wir den Wagen samt Schlüssel einem Italiener überlassen. Dann wanderten wir den Wegweisern nach durch das Gewirr der Gassen und Plätzchen. Auf einmal standen wir auf dem Markusplatz. Ich mache gar nicht erst den Versuch, unsere Überraschung zu schildern. Die Wirklichkeit übertraf alle Postkarten.

Edgar war hauptsächlich überwältigt von den vielen Katzen unterwegs und den vielen Tauben auf dem Platz. Die Fahrt zurück mit dem Vaporetto machte den Traum vollständig. Das Auto bekamen wir auch wieder.

Auf der Weiterfahrt kamen wir nach Ravenna und fanden dort die Zeugen eines frühen Europa. Außerdem fanden wir ein Hotel, das uns aus Freude über unsere Kinder ein einfaches, aber billiges Quartier gab. In Perugia lernte Thomas das Auto über Eselstreppen zu fahren. Wir lernten eine uralte Stadt kennen und außerdem Assisi, wo uns der Heilige Franziskus sehr nahe kam.

Von San Pastore aus machten wir viele Fahrten nach Rom. Dort lernten wir die wichtigsten Sehenswürdigkeiten der römischen Geschichte und Gegenwart kennen. Auch an einer Papstaudienz konnten wir teilnehmen. Unsere Zwillinge waren begeistert, weil sie viele Bilder aus dem Lateinbuch in Wirklichkeit sehen konnten. Matthias lernte an einem Fußballtor unser Auto in eine Parklücke ein zu steuern. Die Heimfahrt ging über Florenz, am Comer See entlang, über den Splügenpaß, Lichtenstein, Bodensee nach Meckenheim.

Als ich 1973 planmäßig pensioniert wurde, ging ich in die Dienste des Katholischen Standortpfarrers von Bonn. Dort blieb ich 17 Jahre. Es war eine schöne Zeit, die mich immer wieder neu forderte. Eigentlich hatte ich dem katholischen Pfarrer nur eine Hilfe in seinem Büro leisten wollen, aber immer mehr wurde ich eingesetzt von den Geistlichen, auch die evangelischen Aufgaben, zu übernehmen, die sie meist aus Zeitgründen nicht leisten konnten. Es ging um lebenskundlichen Unterricht, um Soldaten- oder Familienwerkwochen, um Gottesdienste und um Lebensberatungen. Es ging auch um Kaffeekochen und Versendung von Rundbriefen aller Art.

Jetzt bin ich richtig Pensionär und freue mich über meine sechs Söhne, fünf Schwiegertöchter und euch achtzehn Enkelkinder.

Auch jetzt noch machen wir gerne Reisen mit dem Wohnwagen, den wir uns kauften, als Christian nach Frankreich ging. Er hat aber Christians Frankreichzeit lange überdauert und uns die Möglichkeit vieler Reisen mit vielen schönen Erlebnissen und manchen Abenteuern gab. Unsere Fahrten führten uns nach Frankreich, Italien, Österreich, Ungarn, Tschechoslowakei, Jugoslawien und an viele Orte in Deutschland. Besonders schön waren zwei Fahrten nach Stralsund, wo wir einigen unserer Kinder und Großkinder die Stadt mit ihrer Umgebung zeigen konnten, in der die Großmutter geboren und aufgewachsen war, und in der wir geheiratet hatten

Heute, wenn ich dieses schreibe, haben wir auch den Wohnwagen stillgelegt. Große Reisen werden wir wohl nicht mehr machen, wenn nicht besondere Ereignisse uns dazu nötigen oder sehr locken. Aber wir sind nicht traurig, sondern blicken zurück auf ein volles Leben. Wir sind besonders glücklich, dass die Familien in denen ihr aufwachst, untereinander in Frieden leben. Wir wünschen uns, dass wir am Ende unserer Zeit euren Eltern und euch nicht durch Unverträglichkeit und Bosheit zur Last fallen.


Hier den bebilderten Text als pdf herunterladen