Pech

Eine seltene Überraschung.

Stellt Euch vor, was mir passiert ist:

Mit mir lag im Krankenhaus noch ein Pole auf demselben Zimmer. Der sprach kaum ein Wort Deutsch. Wir konnten uns also gar nicht miteinander unterhalten. Lesen konnte ich auch nicht immer. Darum duselte ich nach dem Abendbrot so vor mich hin. Dabei muss ich denn wohl eingeschlafen sein.

Jedenfalls war es sicherlich schon spät abends. Alles war ruhig und dunkel. Mein polnischer Nachbar schlief fest. Da war mir auf einmal, als stiege jemand über den Balkon in unser Zimmer ein. Ich machte Licht und sah tatsächlich einen Mann in einem dunklen Mantel. Der Kragen war hochgeschlagen.

Er flüsterte mir zu: "Haben Sie keine Sorge. Ich tue Ihnen nichts. Geben Sie mir nur ihr Bargeld, dann verschwinde ich wieder."

"Da haben Sie aber doppeltes Pech!" sagte ich ihm darauf.

"Wieso?" staunte er

"Na, für meinen Nachbarn kann ich nicht sprechen. Der versteht Sie auch gar nicht. Er ist ein Pole und kann kein Deutsch. Und ich habe keinen Pfennig bei mir. Da ist gar nichts zu machen. Aber das Schlimmste kommt noch!"

"Und was wäre das?" Er machte schon eine Bewegung, als wollte er sich über den Balkon zurückziehen. Das wollte ich aber auf gar keinen Fall. Er sollte ja nicht von uns in andere Krankenzimmer überwechseln.

"Nein, bleiben Sie hier! Sie können alles nur viel schlimmer machen. Sie sind nämlich in die Quarantänestation eingedrungen und haben sich schon längst infiziert."

"Wieso, ich hab doch gar nicht ...."

"Sie haben die Luft geatmet in diesem Zimmer. Und sicher sind Sie nicht immun gegen diese Krankheit."

"Was haben Sie denn für eine Krankheit?"

"Ich hatte vorher auch noch nie etwas von ihr gehört. Sie heißt 'Neunaugendysenterie'. Sie kommt nur im schwärzesten Afrika vor. Hagenbeck - den kennen Sie doch - in Hamburg hat einen Kranken von da mitgebracht. Er wollte ihn als Monster in seinem Tierpark zeigen."

"Wieso als Monster?"

"Na, im Endstadium bekommen die Kranken zu ihren beiden Augen noch sieben dazu. Dann leben sie aber nicht mehr lange."

"Und wie kommen Sie da dran?"

"Wir sind Journalisten, er für polnische Zeitungen, ich für ein paar hiesige Tageszeitungen. Wir hatten von dem Monster gehört, der im Tierpark - natürlich hinter Glas - gezeigt werden sollte. Ein Schwarzer Mann mit neun Augen. Das ist doch was für einen Reporter! Wir kamen auch hin und fanden den armen Kerl auf einer Schütte Stroh liegend. Das fanden wir menschenunwürdig und öffneten die unverriegelte Tür des Glaskastens. Da kamen auch schon die Wärter angelaufen, warfen Planen über uns und wickelten uns darin ein. Dann bekamen wir eine Spritze. Aufgewacht sind wir hier."

"Was, um Gottes Willen, soll ich jetzt tun?"

"Weg können Sie nicht, das wäre Selbstmord und fahrlässige Tötung. noch dazu. Am besten, Sie legen sich mal einfach hier auf den Boden. Ich rufe den Nachtdienst. Der wachhabende Arzt kann dann die Sofortmaßnahmen treffen, damit die Krankheit nicht ausbricht. Das haben sie mit uns auch gemacht. Nun hoffen wir, dass wir Glück haben und davonkommen."

Er gehorchte voller Angst. Ich drückte die Klingel. Der Nachtpfleger, mit dem ich durch den Türspalt sprach, holte den Arzt.

Der erschien, wie zu einer Operation, in Grün und mit einer Atemmaske und gab ihm eine Schlafspritze.........Gegen Morgen kamen zwei Polizisten und holten ihn ab.

Ja, was man manchmal erlebt, man könnte glauben, man träumt.


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