Vor 3000 Jahren

Oskar Herwartz 1997

Vor etwa dreitausend Jahren etwa lebte im heutigen Israel, viel-leicht sogar in Jerusalem, ein Schriftsteller, dessen Namen wir nicht kennen, der uns aber wichtige Zeugnisse seiner Zeit hinterlassen hat. Nicht im trockenen Stil eines Berichtes, sondern in der Form kleiner Erzählungen, deren Stoffe er aus dem Sagenschatz der orientalischen Völker übernahm.

Eine von diesen Erzählungen ist uns allen bekannt. Aber vielleicht ist es doch ganz gut, einmal den Versuch zu machen, sie mit den Augen des Autors zu betrachten und uns zu fragen, welche Absicht er hatte, als er sie aufschrieb.

Wenn wir das tun wollen, müssen wir uns aber, soweit wir können, in die Situation des Erzählers versetzen. Wir müssten uns klarmachen, wie es damals dort wo er lebte, aussah und wie es zuging.

Über das Land herrschte ein König. Der hieß Salomo. Er hatte seine Herrschaft von seinem Vater David übernommen, der aus einem lok-keren Stammes- und Familienbündnis einen Staat mit einer starken,zentralen Königsmacht geschaffen hatte. Durch Vernichtung aller seiner Feinde, hatte er für ruhige Grenzen gesorgt.

Sein Sohn Salomo übernahm also einen nach Außen gesicherten und im Inneren gut organisierten Staat. Nur einige mißliebige Männer ließ er noch schnell beseitigen, als er die Herrschaft übernahm. Dann stand diese fest. Das Land entwickelte sich unter seiner Führung sehr erfreulich. Es wurde reich durch Handel und Nutzung von Bodenschätzen. Damit waren die Leute natürlich zufrieden, denn sie alle hatten irgendwie Teil am salomonischen Wirtschaftswunder. Von dem waren freilich nicht alle Bürger gleichermaßen entzückt.

Ebenso natürlich war es, dass besonders die nachwachsende Generation, die ihre Wohlhabenheit für selbstverständlich hielt, weil sie Bedrohung und Armut nicht mehr kennen gelernt hatte, auf allerhand luxuriöse Ideen kam. Die mussten einem seiner Verantwortung bewussten und kritischen Beobachter gefährlich erscheinen. Die Staatsführung selbst machte bei der Verschwendung und dem Leichtsinn mit. Salomon soll einen goldenen Palast gehabt haben, sein Harem von 800 Frauen bewohnt gewesen sein.

Unser Autor machte sich Sorge um die Welt, in der er lebte. Vor allem um die Jugend, die glaubte, alles tun zu dürfen, was ihr gefiel, und alles lassen zu dürfen, was ihnen keinen Spaß machte. Aber auch um die Staatsführung und besonders um den König, der sich eine Autorität anmaßte, die ihm das Recht zu geben schien, selbst zu entscheiden, was Gut sei und was Böse.

Wer mächtige Herrn kritisieren will und dabei auch noch die Jugend gegen sich hat, muss vorsichtig sein. Darum hat unser Autor auch keine politische Streitschrift geschrieben, sondern eine Erzählung. Ihren Gegenstand nahm er aus dem Sagenschatz seiner Umwelt. Er erzählte also nichts Neues, aber er gab der bekannten Sage eine eigenen Form. Schreiben bedeutete damals einen großen Aufwand. Darum darf man annehmen, dass ihm die Sache wichtig war.

Er erzählt nun von einem Garten, in dem die ersten Menschen, Adam und Eva, gelebt hätten. Diesen Garten beschrieb er als ein kleines Reich für sich, rings umgeben von vier Flüssen. Damit will er sagen, dass es vor jeder Bedrohung sicher war. Kein Feind, kein wildes Tier, konnte den Menschen schaden. Sie lebten in ihrem Garten ohne Sorgen. Es ging ihnen rundum gut. So, wie den Menschen damals in Israel zur Zeit Salomos.

Die Menschen, so erzählt der alte Schriftsteller weiter, hatten eine Warnung von Gott bekommen: Ihr könnt Euer kleines Reich zerstören, wenn Ihr von dem einen Baum in der Mitte, dem Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, esst. Das war eine Warnung an die eigene Zeit, die Zeit Salomos. Sie sollte sagen: Auch ihr, meine Mitbürger, und Du mein König, ihr schafft es, euren schönen Staat zu zerstören, so wie das die Menschen, die im Paradies wohnten, auch geschafft haben. Und zwar wodurch? Weil ihr euch anmaßt zu glauben, ihr selbst könntet darüber entscheiden, was gut und was böse ist.

Das Reich des Salomon brach nach dessen Tod sofort zusammen. Die Geschichte unseres unbekannten Erzählers ist erhalten geblieben und wurde sogar in die große Sammlung der Bibel aufgenommen.

Warum wohl?

Weil sie nicht nur den Zeitgenossen Salomos etwas zu sagen hatte, sondern auch den Menschen anderer Zeiten in ähnlichen Lagen.

Auch uns hätte die Geschichte etwas sagen können zur Zeit des "Dritten Reiches".

Nur damals?

Wer entscheidet bei uns heute, was gut und was böse ist? Der Kanzler? Der Bundestag? Die Parteien? Die Kirche? Die Gesellschaft? Jeder von uns für sich selbst?

Oder Gott?


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